Archiv der Kategorie: Theorie

Leibphänomenologie des Gehens

Dieser Beitrag ist wieder einmal eine Sammlung, die je nach Produktivität ausgebaut wird oder so bleibt, wie sie ist. Bisherige Kapitel:
(1) Gehen und Fallen
(2) Gehen als Raumverhältnis

(1) Gehen und Fallen

Gelegentlich liest man, das Gehen des Menschen sei ein »aufgehaltenes Fallen«. Woher diese Formulierung ursprünglich stammt, lässt sich nicht ohne Weiteres ermitteln, denn sie wird normalerweise ohne Quelle zitiert. Jedenfalls findet sie sich bei Schopenhauer, und zwar als physisches Moment einer pessimistischen Anthropologie:

»So ist sein [d.h. des Menschen] Daseyn, schon von der formellen Seite allein betrachtet, ein stetes Hinstürzen der Gegenwart in die todte Vergangenheit, ein stetes Sterben. Sehen wir es nun aber auch von der physischen Seite an; so ist offenbar, daß wie bekanntlich unser Gehen nur ein stets gehemmmtes Fallen ist, das Leben unseres Leibes nur ein fortdauernd gehemmtes Sterben, ein immer aufgeschobener Tod ist: endlich ist eben so die Regsamkeit unseres Geistes eine fortdauernd zurückgeschobene Langeweile.«
(Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I [1819], § 57)

Im Folgejahr 1820 wird die Formulierung von Friedrich Schlegel aufgegriffen, und zwar in dem Aufsatz »Signatur des Zeitalters«, der das erste Heft der von Schlegel herausgegebenen Zeitschrift »Concordia« füllt. Freilich geht es bei Schlegel schon nicht mehr um Anthropologie, sondern um die prekäre Stabilität der konstitutionellen Monarchie in England:

»Ja es ist jene so kunstreich dynamisch abgewogene Verfassung selbst nichts anders als eine immerwährend am Ausbruche verhinderte Revolution, eine fixirte Unruhe, die vom wahren politischen Leben noch sehr weit verschieden ist; so wie einige Physiologen das Gehen als ein fortgesetztes aber unterbrochnes und gehemmtes Fallen und Niederstürzen, ja das Leben selbst als ein angehaltenes und fortwährend verhindertes Sterben in ähnlicher dynamischer Weise betrachtet haben.«
(Concordia, Heft 1 [1820], S. 69)

Schon Schlegel nutzt also den Gedanken für irgendeinen Zweck, ohne sich noch groß Gedanken darüber zu machen, ob es sich um eine phänomenologisch angemessene Beschreibung des Gehens handelt. Und dies scheint auch für den späteren Gebrauch des Schopenhauer-Zitats bis in unsere Tage zu gelten. Es handelt sich um etwas, das man zitieren kann, wenn man zur Sache selbst entweder gar keinen Gedanken hat oder bereits einen vorgefassten – etwa weil man den ›aufrechten Gang‹ real oder metaphorisch zu etwas Prekärem stilisieren möchte.

Das »aufgehaltene Fallen« kann man real an Kindern beobachten, die gehen lernen, ferner auch bei bewegungsunsicheren älteren Menschen. Im motorischen Bewusstsein des bewegungskompetenten Erwachsenen ist dergleichen aber nicht präsent. Physikalisch gibt es zwar in der normalen Bewegungsabfolge einen kurzen Moment, in dem das Aufsetzen des Fußes infolge der bereits erfolgten Verlagerung des Körpergewichts nicht mehr aufgehalten werden kann, aber dieses Fallen des Körpers in den nächsten Schritt ist mit dem Abrollen des Fußes so koordiniert, dass es nur noch als Übergabephase erscheint: Die beiden Beine tragen die Körpermasse im fließenden Wechsel, und es ist dieses leicht pendelnde und leicht wippende Tragen und Getragenwerden, das die leibliche Charakteristik des Gehens zunächst ausmacht. Die Rede vom aufgehaltenen Fallen ist demgegenüber eine kokette, mitunter geschmäcklerische Verfremdung – so als müsste der Mensch unbedingt ein ›Mängelwesen‹ sein, während andere Tiere sich einfach so entwickeln, wie es für sie jeweils von Vorteil ist.

Wenn man einigermaßen seriös vorgeht, wird man anerkennen müssen, dass Leistungen wie das zweibeinige Stehen oder Gehen ebenfalls Sachverhalte sind, die sich evolutionär als Problemlösungen herauskristallisiert haben. Oder etwas phänomenologischer formuliert: Sie sind real, weil sie unter bestimmten physischen Voraussetzungen möglich und für das jeweilige Lebewesen in einer charakteristischen Weise sinnhaft sind. Flamingos schlafen im Stehen auf einem Bein, weil sie es anatomisch können und weil es möglicherweise Vorteile für die Regulierung der Körpertemperatur hat. Menschen fühlen sich wohl im Stehen und Gehen, weil ihre Anatomie und ihr Gleichgewichtssinn sich parallel zur Aufrichtung des Körpers fortentwickelt haben. Sie sind jetzt auf zwei Beinen stehende Wesen, denen es schwerfällt, sich auf allen Vieren zu bewegen.

(2) Gehen als Raumverhältnis

Genauso wie sich im Stehen jeweils bestimmte (unbewusste oder bewusste) Arten und Grade leiblicher Präsenz ausdrücken, hat auch das Gehen – für den Gehenden selbst  ebenso wie für den Betrachter – einen Ausdruckswert, den man freilich aus leibphänomenologischer Sicht nicht einfach zu einer semantisch zu entziffernden ›Körpersprache‹ verkürzen sollte.
Der statischen Präsenz des Stehens entspricht beim Gehen eine weitgreifende, auf einen unbestimmten Zweckhorizont geweitete Erfahrung der Mobilität als Erfahrung eines Handelns und Handelnkönnens, als leiblicher Aufweis, dass die eigene Präsenz an einem Ort etwas ist, das hergestellt, aber auch wieder aufgegeben werden kann. Ich bin da, ich kann weggehen, ich kann das mit meinen Mitteln machen, kann es meinen Leib in einer anatomischen Routine machen lassen. Und ich kann nicht überall sein und kann nicht alles machen, was ich wollen könnte. Das Gehen rückt gleichsam die Omnipotenzphantasie (oder ihr Gegenteil, die Ohnmachtserfahrung) zu einer realistischen Potenzphantasie zurecht; je länger, desto nachhaltiger.

Das ist einer der Gründe, wieso das Wandern sich schon als bloßes Gehen gut anfühlen kann (ohne dass man etwas Spektakuläres darüber hinaus erleben müsste). Es geht also, so wie es hier gemeint ist, nicht um Leistung, Selbstoptimierung, Selbsttranszendenz, Grenzfindung und dergleichen, erst recht nicht um jene Vorteile des Gehens für das Denken, die immer wieder (und am liebsten von Philosophen) herbeizitiert worden sind, als müsste das Gehen ökonomisch gerechtfertigt werden. Interessant ist vielmehr die elementare Erfahrung des Gehens, von der normalerweise nicht ausdrücklich die Rede ist, weil sie uns zu selbstverständlich ist. Noch vor dem ›Dialog mit einer Landschaft‹, der dazu Anlass gibt, sich über die Ontologie oder Phänomenologie der ›Landschaft‹ oder der ›Natur‹ Gedanken zu machen, tritt das bloße Gehen im oben skizzierten Sinne als Phänomen der Leiblichkeit des Menschen, seiner Mobilität und seines Raumbezugs in Erscheinung; das ist sozusagen die primäre Erfahrung des Wanderns. Sie erklärt vielleicht, wieso Landschaft und Natur manchmal aus der bewussten Wahrnehmung verschwinden und der Weg vorübergehend zu einem Laufband wird, so dass zum Beispiel auch keine ›Exploration‹ einer Landschaft mehr stattfindet; sie erklärt aber andererseits auch, wieso das Setzen der Schritte und die Haptik des Untergrunds, der Kontakt des Fußes mit dem Boden, eine eigene Erfahrungsschicht bilden und gesonderte phänomenologische Aufmerksamkeit verdienen.

Der einzelne Schritt kann als selbständige Handlung wahrgenommen werden, in dem jemand aus dem Zentrum seiner leiblichen Umgebung heraus- und zugleich wieder in dieses Zentrum hineintritt; das bedeutet eine Veränderung der leiblichen Umgebung, in einem elementaren Sinne eine Verschiebung der Welt durch einen eigenen, kompetenten Mobilitätsakt. Eklatant nimmt man das nur wahr, wenn man wegen des Geländes seine Schritte sehr ausdrücklich setzt, plötzlich auf anderen Untergrund tritt, einen Bach überspringt, auf eine hohe Felsstufe tritt, eine Böschung hinaufsteigt, im Spagat einen umgestürzten Baum übersteigt und dergleichen – oder wenn man nach einer Pause die ersten Schritte macht, die einen weitertragen.

Am anderen Pol dieses Aufmerksamkeitsspektrums kann sich beim automatischen Gehen der einzelne Schritt in ähnlicher Weise auflösen, wie sich beim Betrachten eines Films das einzelne Bild im Bewegtbild auflöst. Das Gehen ist dann eine kontinuierliche Translation, ein Gleiten der leiblichen Umgebung, bei dem man sich ›guten Gefühls‹ auf die fehlerlose Verkettung der eigenen Schritte verlässt – ein Modus, der von erfahrenen Wanderinnen und Wanderern nicht selten als ›Rollen‹ beschrieben wird, weil die (immer noch eigenen) Beine auf der Ebene der bewussten Wahrnehmung kein Aufhebens mehr um die anatomische Komplexität ihrer Tätigkeit machen. Das Rollen bleibt aber eine leibliche Tätigkeit, die als Mobilität des ganzen Leibes, als Einheit von Tragen und Getragenwerden gespürt werden kann. Genauso wie der einzelne Schritt fügt es sich ein in den Erfahrungsbereich der Bewegungskompetenz, die beim Wandern (und überhaupt beim Gehen in einer Umgebung) ein leibliches Raumerschließungsvermögen ist.

Wandern nach Zahlen

Wenn man sich in den Kopf gesetzt hat, reale Naturlandschaften zu erkunden, statt sich von der Tourismusindustrie und ihren Nachhilfeinstituten am Nasenring eines Prädikatswanderwegs durch eine ›traumhafte‹ Natur führen zu lassen, kann man in Deutschland zum Beispiel auf die naturräumliche Gliederung zurückgreifen, die die heute nicht mehr existierende Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung zwischen 1953 und 1962 entwickelt hat. Diese mehrstufige Gliederung in (zweistellig nummerierte) Haupteinheitengruppen und (dreistellig nummerierte) Haupteinheiten wird heute noch vom Bundesamt für Naturschutz und den entsprechenden Landesbehörden etwa für Planungs- und Darstellungszwecke verwendet. In meinen früheren Wanderberichten sind einzelne Landschaftsbezeichnungen aus dieser Gliederung auch schon mal vorgekommen, etwa das ›Rückland der Mecklenburgischen Seenplatte‹ mit der Ordnungsnummer 74.

Wanderer und andere Touristen sind eigentlich nicht die Adressaten dieses Werks, und entsprechend schwierig ist es, im Internet eine befriedigende Kartendarstellung zu finden. Das Instrument, das dieser Forderung noch am nächsten kommt, ist der Kartendienst des Bundesamtes für Naturschutz, wo man eine Übersicht unter folgender URL aufrufen kann:

https://geodienste.bfn.de/landschaften?lang_de

Die Karte zeigt zwar nicht die (zweistelligen) Haupteinheitengruppen an, wohl aber die ihnen zu- bzw. untergeordneten Haupteinheiten. Beim Anklicken der in der Karte dargestellten Areale öffnet sich ein Fenster mit Informationen zu der jeweiligen Haupteinheit, etwa Zugehörigkeit zu einem Landschaftstyp und naturschutzfachliche Bewertung. Die erwähnte dreistellige Nummer findet man in diesem Fenster als erste drei Ziffern der fünfstelligen ›Kennziffer‹ (die ziemlich ähnliche ›Objekt-ID‹ ist hingegen irgendetwas anderes).

Ferner findet sich in dem Fenster – und das ist jetzt wichtiger als die bürokratische Struktur des Gliederungssystems – ein Link zu einem Landschaftssteckbrief mit einer konkreteren Charakterisierung der Region.

So heißt es zum Beispiel über die Haupteinheit 744 (Uckermark), die zum Rückland der Mecklenburgischen Seenplatte gehört:

»Die Uckermark beschreibt ein Gebiet, das sich zwischen den Talzügen von Ucker und Randow erstreckt und großflächig von einer Ackerlandschaft eingenommen wird. Landschaftsmorphologisch handelt es sich um ein flachwelliges bis kuppiges Moränengebiet, das abwechselnd von Grund- und Endmoränen und Sandern aufgebaut wird. Die relativ strukturarmen ausgedehnten Ackerflächen werden durch zahlreiche Kleingewässer, viele Seen, Sölle und Fließgewässer strukturiert. Größere Waldbereiche befinden sich vor allem südwestlich der Ucker und prägen dort das typische Bild des Uckermärkischen Hügellandes- ein Wechselspiel aus Wald und Seen. Im übrigen Teil befinden sich nur vereinzelt Höhenrücken, so dass die Uckermark insgesamt als waldarme Landschaft zu charakterisieren ist.
Aufgrund der relativ ertragreichen Lehmböden dominiert im gesamten Gebiet die ackerbauliche Nutzung. Grünlandbereiche finden sich nur kleinflächig und meistens auf Niedermoorböden im Bereich von Gewässern. Die bewaldeten Teile werden z.T. forstwirtschaftlich genutzt.
Die wertvollen Bereiche in der Uckermark bilden vor allem die Niederungen, Seen und Laubwaldbereiche. Viele Seen sind als Lebensraum für bestandsbedrohte Vogel- und Amphibienarten von Bedeutung. Die Niederungen sind darüberhinaus für die Vernetzung der Region wichtig. Die Wälder besitzen in dieser sonst waldarmen Region eine mittlere Bedeutung für den Arten- und Biotopschutz. Mehrere Bereiche in dem von Wald und Seen geprägten südwestlichen Teil wurden als FFH-Gebiete gemeldet und größere Flächen sind außerdem als bestehendes Vogelschutzgebiet (SPA) ausgewiesen. Daneben gibt es einige wertvolle Trockenrasenstandorte, wie z.B. das NSG „Charlottenhöhe“ südlich von Prenzlau. Außerhalb der bestehenden Schutzgebiete wurden einige weitere Flächen als national bedeutsam für den bundesweiten Biotopverbund erfasst.«

Wie man unschwer erkennt, ist das geographisch zumindest etwas aufschlussreicher als das übliche Marketinggeschwätz von ›glasklaren Seen‹ und ›verträumten Buchenwäldern‹.

Beim geographischen Wandern geht es häufig darum, touristisch etwas abseits gelegene Gegenden, in denen man noch nicht wirklich gewesen ist, für Tages- und Mehrtageswanderungen zu erschließen. Manchmal bietet es sich auch an, vorher eine Radtour in der Region zu unternehmen, um einen Eindruck davon zu bekommen, welche Route man zu Fuß ins Auge fassen könnte und wo man dabei ggf. mit Zelt übernachten könnte.

Die naturräumliche Gliederung erlaubt bei der Planung eine gewisse Segmentierung der bisher ›weißen‹ Zonen im Sinne der Identifizierung von Explorationsarealen. Man durchquert also nicht mehr nur einfach den (von Berlin aus gesehen) ›leeren‹ Raum zwischen der Bahnstrecke Angermünde-Stralsund und der sogenannten Berliner Nordbahn (Neustrelitz-Neubrandenburg), sondern exploriert die Naturräume 744 (Uckermark) und 743 (Woldegk-Feldberger Hügelland) als Untergliederungen des Rücklands der Mecklenburgischen Seenplatte.

So verändert sich allmählich der Blick: Die Tourplanung ist dann nicht mehr eine Auswahl aus einem Katalog möglicher Highlights, und auch die naheliegende Anpassung an das, was die öffentlichen Verkehrsmittel ohne Weiteres ermöglichen, tritt etwas in den Hintergrund. Stattdessen wird ›die Natur‹, weil sie ja zu Fuß begangen werden soll, als ausgedehnter Raum wahrgenommen, der sich am Maßstab geographischer Eigenschaften in Segmente der Landschaftsimagination, das heißt hier in begehbare, explorierbare Areale begrenzter Ausdehnung gliedern lässt. Solche Einheiten (und nicht bestimmte Wege, die jemand vorgezeichnet hat) werden dann gleichsam zum Objekt des Wanderns und zum Gegenpart in jenem ›Dialog mit der Landschaft‹, der zustande kommt, wenn man das Wandern geographisch-explorativ auffasst.

Wo laufen sie denn? Kein Wanderboom und andere Trends

Wenn man im Internet den Begriff ›Wanderboom‹ in eine Suchmaschine eingibt, bekommt man meistenteils ein und dieselbe Story aufgetischt: Früher hatte das Wandern ein verstaubtes Image, Wanderer trugen Kniebundhosen und rote Kniestrümpfe, heute aber ist das Wandern wieder modern und liegt gerade beim jüngeren Publikum im Trend. Diese Story, an der nicht einmal die Rekonstruktion der Klischees stimmt, ist irgendwann zu Beginn des Jahrtausends von den Protagonisten des ›Neuen Wanderns‹ erzählt und dann einige Jahre lang von Lobbyisten, Werbetextern und Journalisten (also von Leuten, die sogenannte Kreativberufe ausüben) mechanisch nachgeplappert worden. Jüngstes Beispiel ist ein – im Übrigen nicht ganz uninteressanter – Artikel von Dirk Schümer in der Welt.

Dem sonst von mir gern kritisierten Deutschen Wanderinstitut und seinem Autor Rainer Brämer (die an der Verbreitung der ›Story‹ nicht ganz unbeteiligt waren) kommt das Verdienst zu, noch einmal nachgezählt zu haben, und zwar durch den Vergleich verschiedener quantitativer Erhebungen zum Wanderverhalten der Bevölkerung. Das Fazit dieses Nachzählens lautet: »Es gibt keinen neuen Wanderboom. Erst recht nicht unter jungen Zeitgenossen«.

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Wildcampen

Der folgende Text ist ursprünglich als Gastbeitrag für ein Buch eines anderen Autors geschrieben worden. Detailfragen der rechtlichen Regelung des Wildzeltens treten in den Hintergrund, und zwar aus Gründen, die im Text selbst genannt werden. Wer an einer umfassenden Darstellung der Rechtslage in Deutschland (und in den einzelnen Bundesländern) interessiert ist, klickt hier.

Motive

Gründe, die einen zum Wildcampen, das heißt zum Zelten abseits von Campingplätzen veranlassen könnten, gibt es eine ganze Menge: Vielleicht sucht man das intensivere Naturerlebnis, vielleicht möchte man Wildtiere beobachten, vielleicht ist man irgendwie genervt von dem üblichen Treiben auf Campingplätzen. Manch einer nimmt Zelt und Schlafsack und gönnt sich ein sogenanntes Microadventure, also eine Kurztour mit einer Übernachtung in der heimischen Region. Vielleicht gibt es auch einfach keine Campingplätze in der Region, in die man reisen möchte. Vielleicht ist man zu dem Schluss gekommen, dass man den Komfort einer warmen Dusche nicht braucht, vielleicht möchte man endlich vollkommen kostenlos übernachten.

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Glanz und Elend der Landschaftspsychologie

Die Vorstellung, dass unser Alltagsverhalten weitgehend durch genetische Programme determiniert sei, in denen sich die Erfahrungen unserer Urahnen manifestieren, ist für viele Menschen vermutlich aus zwei Gründen attraktiv.

Erstens entlastet eine solche Theorie den Einzelnen von jenem Übermaß an Verantwortung, das die moderne Gesellschaft ihm üblicherweise aufbürdet. Zweitens ermöglicht sie ihm ein Überlegenheitsgefühl in dem Sinne, dass er sich nunmehr einbilden kann, das Verhalten anderer Menschen besser zu verstehen als diese selbst. Die bedrohliche Kontingenz des Verhaltens anderer schrumpft damit zum Material eines Gesellschaftsspiels, in dem man dem Anderen mit blasiertem Lächeln vorhalten kann, er sei eine Marionette dieses und jenes genetischen Programms, das man selbst aber durchschaut habe.

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»Muss es immer Premium sein?« – Kratzspuren einer Debatte

Systematische Kritik an der Idee des Premiumwanderns gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Regional wird seitens der klassischen Wandervereine gelegentlich die Frage aufgeworfen, inwiefern die Entstehung von zertifizierten Prädikatswegen zu einer Überforderung der ehrenamtlichen Wegearbeit führt oder sogar die bisherige, gleichsam flächendeckende Pflege des Wanderwegenetzes gleichsam entwertet. Beiträge zu dieser Debatte findet man zum Beispiel in Heft 3/2015 der Zeitschrift des Schwarzwaldvereins.

Der Pressesprecher des Schwarzwaldvereins Stephan Seyl stützt in diesem Heft seine persönliche Kritik des ›Zertifizierungswahns‹ zwar auf Grundsatzüberlegungen zur Landschaftsästhetik, zur Erlebnisinszenierung und zum Konsumverhalten, aber diese Stellungnahme (mit der ich sympathisiere) bleibt gewissermaßen singulär:

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Exploration und Konsum: Landschaftswahrnehmung beim Wandern

[Letzte Erweiterung: 15.03.2017]

Konsumismus

Konsumismus ist die Überzeugung, dass ›Konsum‹ – das heißt die Aneignung von Gütern – für den Menschen einen sinnvollen selbstzweckhaften Lebensinhalt darstellt. Ein solcher Selbstzweck kann der Konsum in modernen Wohlstandsgesellschaften unter anderem deshalb sein, weil für den Konsumenten die Auswahl aus einem Überangebot an Gütern eine Praxis der Individualisierung ist. In einem Umfeld, in dem sich alle mit der Aneignung von Gütern beschäftigen und zugleich alle nach Identität suchen, kann das Konsumprofil des Einzelnen als seine unverwechselbare Identität erscheinen, und der Konsum kann folglich als die Daseinssphäre erscheinen, in der Menschen überhaupt Identität gewinnen.

Eine geistige Totalisierung des Konsumismus tritt ein, wenn jedes Wirklichkeitsverhältnis die Form der Aneignung einer Ware annimmt. Auch im Verhältnis zur geographischen Landschaft ist ein solches Übergreifen konsumistischer Handlungsmuster möglich: Dem Touristen, Outdoor-Sportler oder Wanderer kann die Landschaft oder die ›Natur‹ als Produzentin von Erlebnisprodukten erscheinen, die durch Reisen und körperliche Anstrengung erworben und in einem Portfolio wertvoller ›Erinnerungen‹ angesammelt werden können.

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Was ist eine Landschaft?

[Letzte Änderung am Text: 14.06.2017]

Der folgende Beitrag präsentiert eine Definition von ›Landschaft‹, sozusagen im Geist einer realistischen Phänomenologie, und erläutert die einzelnen Komponenten dieser Definition. Es geht dabei um die Frage, was Landschaft für ›uns‹ ist, bevor wir anfangen, sie als Fotomotiv , Schlachtfeld, landwirtschaftliche Nutzfläche oder Sportareal wahrzunehmen.

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Premiumwandern (III)

Was am Konzept des Premiumwanderns Widerspruch herausfordert, ist nicht der Umstand, dass überhaupt Wege ausgesucht, markiert und gepflegt werden, sondern dass eine inszenierte Erlebnisverkettung die explorative Erfahrung der Landschaft ersetzen soll. Das Wandern wird dadurch zu einem heteronom organisierten Erlebniskonsum.

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Premiumwandern (II)

Wie war das eigentlich ›früher‹? Wenn man als Jugendlicher mit seinen Eltern wandern gegangen ist, fuhr man vielleicht mit dem Auto zu einem Wanderparkplatz und ging einen Rundweg, der nach Maßgabe des Zeitbudgets auf der Wanderkarte grob geplant und dann eventuell abgekürzt oder verlängert wurde.

Das konkrete ›Medium‹, in dem sich bei dieser Art des Wanderns so etwas wie ein Handlungsplan konstituieren kann, ist typischerweise eine topografische Karte mit Wanderwegen, und die Realitätsebene, in der sich der Handlungsplan realisiert, ist eine Landschaft, die von einem Wegenetz überzogen ist – oder vielmehr ein Wegenetz, das gleichsam über die Landschaft geworfen worden ist. Ein ›Weg‹ ist in diesem Zusammenhang jede für den Fußgängerverkehr geeignete ›Bahn‹ – trassiert oder bloß ausgetreten, Pfad oder Forststraße.

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