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Wandern nach Zahlen

Wenn man sich in den Kopf gesetzt hat, reale Naturlandschaften zu erkunden, statt sich von der Tourismusindustrie und ihren Nachhilfeinstituten am Nasenring eines Prädikatswanderwegs durch eine ›traumhafte‹ Natur führen zu lassen, kann man in Deutschland zum Beispiel auf die naturräumliche Gliederung zurückgreifen, die die heute nicht mehr existierende Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung zwischen 1953 und 1962 entwickelt hat. Diese mehrstufige Gliederung in (zweistellig nummerierte) Haupteinheitengruppen und (dreistellig nummerierte) Haupteinheiten wird heute noch vom Bundesamt für Naturschutz und den entsprechenden Landesbehörden etwa für Planungs- und Darstellungszwecke verwendet. In meinen früheren Wanderberichten sind einzelne Landschaftsbezeichnungen aus dieser Gliederung auch schon mal vorgekommen, etwa das ›Rückland der Mecklenburgischen Seenplatte‹ mit der Ordnungsnummer 74.

Wanderer und andere Touristen sind eigentlich nicht die Adressaten dieses Werks, und entsprechend schwierig ist es, im Internet eine befriedigende Kartendarstellung zu finden. Das Instrument, das dieser Forderung noch am nächsten kommt, ist der Kartendienst des Bundesamtes für Naturschutz, wo man eine Übersicht unter folgender URL aufrufen kann:

https://geodienste.bfn.de/landschaften?lang_de

Die Karte zeigt zwar nicht die (zweistelligen) Haupteinheitengruppen an, wohl aber die ihnen zu- bzw. untergeordneten Haupteinheiten. Beim Anklicken der in der Karte dargestellten Areale öffnet sich ein Fenster mit Informationen zu der jeweiligen Haupteinheit, etwa Zugehörigkeit zu einem Landschaftstyp und naturschutzfachliche Bewertung. Die erwähnte dreistellige Nummer findet man in diesem Fenster als erste drei Ziffern der fünfstelligen ›Kennziffer‹ (die ziemlich ähnliche ›Objekt-ID‹ ist hingegen irgendetwas anderes).

Ferner findet sich in dem Fenster – und das ist jetzt wichtiger als die bürokratische Struktur des Gliederungssystems – ein Link zu einem Landschaftssteckbrief mit einer konkreteren Charakterisierung der Region.

So heißt es zum Beispiel über die Haupteinheit 744 (Uckermark), die zum Rückland der Mecklenburgischen Seenplatte gehört:

»Die Uckermark beschreibt ein Gebiet, das sich zwischen den Talzügen von Ucker und Randow erstreckt und großflächig von einer Ackerlandschaft eingenommen wird. Landschaftsmorphologisch handelt es sich um ein flachwelliges bis kuppiges Moränengebiet, das abwechselnd von Grund- und Endmoränen und Sandern aufgebaut wird. Die relativ strukturarmen ausgedehnten Ackerflächen werden durch zahlreiche Kleingewässer, viele Seen, Sölle und Fließgewässer strukturiert. Größere Waldbereiche befinden sich vor allem südwestlich der Ucker und prägen dort das typische Bild des Uckermärkischen Hügellandes- ein Wechselspiel aus Wald und Seen. Im übrigen Teil befinden sich nur vereinzelt Höhenrücken, so dass die Uckermark insgesamt als waldarme Landschaft zu charakterisieren ist.
Aufgrund der relativ ertragreichen Lehmböden dominiert im gesamten Gebiet die ackerbauliche Nutzung. Grünlandbereiche finden sich nur kleinflächig und meistens auf Niedermoorböden im Bereich von Gewässern. Die bewaldeten Teile werden z.T. forstwirtschaftlich genutzt.
Die wertvollen Bereiche in der Uckermark bilden vor allem die Niederungen, Seen und Laubwaldbereiche. Viele Seen sind als Lebensraum für bestandsbedrohte Vogel- und Amphibienarten von Bedeutung. Die Niederungen sind darüberhinaus für die Vernetzung der Region wichtig. Die Wälder besitzen in dieser sonst waldarmen Region eine mittlere Bedeutung für den Arten- und Biotopschutz. Mehrere Bereiche in dem von Wald und Seen geprägten südwestlichen Teil wurden als FFH-Gebiete gemeldet und größere Flächen sind außerdem als bestehendes Vogelschutzgebiet (SPA) ausgewiesen. Daneben gibt es einige wertvolle Trockenrasenstandorte, wie z.B. das NSG „Charlottenhöhe“ südlich von Prenzlau. Außerhalb der bestehenden Schutzgebiete wurden einige weitere Flächen als national bedeutsam für den bundesweiten Biotopverbund erfasst.«

Wie man unschwer erkennt, ist das geographisch zumindest etwas aufschlussreicher als das übliche Marketinggeschwätz von ›glasklaren Seen‹ und ›verträumten Buchenwäldern‹.

Beim geographischen Wandern geht es häufig darum, touristisch etwas abseits gelegene Gegenden, in denen man noch nicht wirklich gewesen ist, für Tages- und Mehrtageswanderungen zu erschließen. Manchmal bietet es sich auch an, vorher eine Radtour in der Region zu unternehmen, um einen Eindruck davon zu bekommen, welche Route man zu Fuß ins Auge fassen könnte und wo man dabei ggf. mit Zelt übernachten könnte.

Die naturräumliche Gliederung erlaubt bei der Planung eine gewisse Segmentierung der bisher ›weißen‹ Zonen im Sinne der Identifizierung von Explorationsarealen. Man durchquert also nicht mehr nur einfach den (von Berlin aus gesehen) ›leeren‹ Raum zwischen der Bahnstrecke Angermünde-Stralsund und der sogenannten Berliner Nordbahn (Neustrelitz-Neubrandenburg), sondern exploriert die Naturräume 744 (Uckermark) und 743 (Woldegk-Feldberger Hügelland) als Untergliederungen des Rücklands der Mecklenburgischen Seenplatte.

So verändert sich allmählich der Blick: Die Tourplanung ist dann nicht mehr eine Auswahl aus einem Katalog möglicher Highlights, und auch die naheliegende Anpassung an das, was die öffentlichen Verkehrsmittel ohne Weiteres ermöglichen, tritt etwas in den Hintergrund. Stattdessen wird ›die Natur‹, weil sie ja zu Fuß begangen werden soll, als ausgedehnter Raum wahrgenommen, der sich am Maßstab geographischer Eigenschaften in Segmente der Landschaftsimagination, das heißt hier in begehbare, explorierbare Areale begrenzter Ausdehnung gliedern lässt. Solche Einheiten (und nicht bestimmte Wege, die jemand vorgezeichnet hat) werden dann gleichsam zum Objekt des Wanderns und zum Gegenpart in jenem ›Dialog mit der Landschaft‹, der zustande kommt, wenn man das Wandern geographisch-explorativ auffasst.

Wüste Kirche Rittgarten

Zweitageswanderung von 40 km Länge im Oktober 2017

Diese zweitägige Tour fällt unter die Kategorie ›Erkundung vernachlässigter Landschaften‹, d.h. es geht darum, eine wenig frequentierte, für Tagestouren eher ungünstige Gegend zu Fuß zu durchqueren und dabei angenehme Wege, interessante historische Anschauungsobjekte und nicht zuletzt geeignete Übernachtungsplätze zu finden und eventuell zu dokumentieren.

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