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Klima-Shortcut #10: Öffentlichkeit als Kränkung. Warum es in Deutschland keine Verkehrswende geben kann

Der öffentliche Personenverkehr in Berlin funktioniert eigentlich relativ zuverlässig. Das heißt: Man kommt von A nach B, wenn man weiß, wie es geht. Man kommt auch von Berlin nach Burg Stargard, wo sich mein Gartenhaus befindet. Das geht mit dem Zug in aller Regel weitaus bequemer als mit dem Auto, selbst wenn man, wie das jetzt bei mir der Fall ist, regelmäßig eine Traglast mitnimmt.

Innerhalb der Stadt würde man sich freilich nicht auf den ÖPNV festlegen wollen, denn viele Wege lassen sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad (oder gelegentlich auch mit einem nichtmotorisierten sogenannten Kinderroller) angenehmer zurücklegen. Multimodalität in diesem Sinne ist naheliegend, wenn man nicht erst seit gestern in der Stadt ist.

Eine innerstädtische ›Verkehrswende‹ in einem qualifizierten Sinne, wie man sie etwa in anderen europäischen Metropolen (Kopenhagen, Amsterdam, Paris) beobachten kann, wird es in Berlin und überhaupt in Deutschland aber niemals geben.

Warum das so ist, kann man sich heute an einem Beitrag von Anna Mayr in der ZEIT vergegenwärtigen. Die Autorin erläutert unter dem Titel ›Trennungsbedarf‹, wieso sie sich vom öffentlichen Verkehr sozusagen aufgrund moralischer Enttäuschung abgewandt hat und in Zukunft das Auto als Verkehrsmittel präferieren möchte.

Anekdotisch liefert Mayrs Beitrag ein Zerrbild der Mobilitätsverhältnisse mit dem Tenor: Man kommt nirgends zu berechenbaren Zeiten an, und Radfahren wäre ohnehin tödlich. (»Natürlich kann man Fahrrad fahren in Berlin, aber gleichzeitig würde ich wahnsinnig gerne älter als 30 werden.«)

Den Mentalitätshintergrund der Argumentation würde ich folgendermaßen reformulieren – und damit wird auch klar, inwiefern das, was Mayr schreibt, ins Innerste jener Erstarrung führt, die die Verkehrswende in Deutschland dauerhaft unmöglich macht:

(1) Verkehr in einem von anderen Menschen bewohnten Raum ist das schnellstmögliche Zurücklegen einer Strecke, das Erreichen meines Ziels, und die Aufgabe anderer Menschen dabei ist, mich zu transportieren oder mir aus dem Weg zu gehen.

(2) Der öffentliche Raum ist eine Verkehrsfläche, die keine andere Funktion hat als die, durchquert zu werden. Idealerweise bleibt die Durchquerung als solche privat, das heißt sie findet in einer Kapsel statt, in der mir Andere nicht als Fremde begegnen, mit denen ich Räume teilen muss.

(3) Öffentlichkeit ist ein Übel, das an den Grenzen der Privatheit entsteht und den Charakter einer moralischen Beleidigung hat. Das Gute ist mein privates und familiäres Erfolgsstreben, das mit solcher Öffentlichkeit in Konflikt gerät, wenn viele verschiedene Menschen in einem urbanen Raum zusammenleben.

(4) Die eigene nichtmotorisierte Bewegungskompetenz ist so geschwächt, dass sie zur urbanen Mobilität keinen Beitrag mehr zu leisten vermag. Deshalb bleibt nur das Auto als private Transportkapsel.

(5) Wenn ich die Macht habe, ein eigenes Auto zu besitzen, habe ich auch das Recht und die Freiheit, so viel öffentlichen Raum zu besetzen, wie sich mit einem Auto besetzen lässt.

Diese abstrahierende Reformulierung hat den Vorzug, dass sie deutlich macht, auf welcher Ebene die Erstarrung angesiedelt ist. Es ist nämlich nicht nur neoliberale Naivität im Spiel (der zufolge Urbanität vor allem dazu da ist, meinen privaten Lebenserfolg zu katalysieren), sondern auch ein traditionell kümmerliches Konzept von Öffentlichkeit und öffentlichem Raum.

In Deutschland hat man für Öffentlichkeit, also für das freie Zusammentreffen von Fremden, eigentlich keine Verwendung. Es genügt, wenn ein effizienter Staat das Zusammenspiel privater Interessen verwaltet. Entsprechend müssen öffentliche Räume nicht als Begegnungsorte, sondern nur als Verkehrsflächen gestaltet sein. Die Begegnung mit unbekannten, unerwarteten Personen wird verabscheut, und es fühlt sich moralisch richtig an, sie zu verabscheuen. Im Idealfall begegnen sich daher auf öffentlichen Verkehrsflächen nur Autos als Privatisierungskapseln. Und es sind dann konsequenterweise auch diese Autos und nicht die leiblich-natürlichen Personen, die im politischen Diskurs als Träger von Freiheitsrechten in Erscheinung treten.

Einiges an dieser Theorie mag übertrieben sein, aber umso reizvoller bzw. erschütternder ist es zu sehen, wie gut sie zum tatsächlichen politischen Geschehen passt.

Literaturhinweise:

Christoph Bernhardt: Längst beerdigt und doch quicklebendig: Zur widersprüchlichen Geschichte der ›autogerechten Stadt‹, in: Zeithistorische Forschungen 14/3 (2017), 526-540.

Darin zitiert, zur Erläuterung der »Privatisierungskapsel«:

Gijs Mom: Encapsulating Culture. European Car Travel, 1900–1940, in: Journal of Tourism History 3/3 (2011), 289-307.

Klima-Shortcut #9: Kapitalismus und Klimakrise

Zu den Lieblingsideen einer philosophisch oder soziologisch inspirierten Reflexion der Klimakrise gehört, dass diese Krise der Effekt einer kapitalistischen, auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftsweise sei. Das stimmt auch: Die Menschen eignen sich die vermeintlich unerschöpflichen, tatsächlich aber begrenzten Ressourcen des vorgefundenen Planeten an und verwerten sie, bis beide – die Menschen und die Ressourcen – erschöpft sind.

Wenn man dies erkannt habe, sei es – so der zweite Schritt dieser Überlegung – geboten, sich in einem gemeinsamen Akt der Vernunft für eine andere, auf Suffizienz ausgerichtete Wirtschaftsweise zu entscheiden und diese in Zukunft konsequent zu verfolgen. Jede Strategie, die darauf ausgehe, die Klimakrise mit marktwirtschaftlichen Instrumenten, mit technologischem Fortschritt und ›grünem Wachstum‹ zu bewältigen, bleibe hingegen im Bann des kapitalistischen Fortschrittsbegriffs und sei insofern Teil des Problems und nicht der Lösung.

Aber ist dies wirklich die Entscheidung, die zu treffen ist? Ich würde das verneinen, denn der zweite Schritt setzt voraus, dass die Menschheit in der Weltgeschichte als ein moralisch ansprechbares Subjekt in Erscheinung tritt, das solche Entscheidungen treffen kann. Es spricht nicht allzu viel dafür, dass dies ein sinnvolles Modell ist. In der Realgeschichte geschieht beides: Eingeschlagene Pfade werden weiter verfolgt – einerseits. Und andererseits entstehen neue Ideen, die in andere Richtungen führen, bis man nicht mehr genau weiß, ob man sich noch auf dem alten Pfad befindet.

Das sind aber alles nur Metaphern. Der Mensch als Gattungswesen nähert sich derzeit durch die Veränderungen, die er an der Atmosphäre und an der Biosphäre vorgenommen hat, den Grenzen seiner Überlebensfähigkeit. Unsere Nachkommen werden, nachdem wir ihnen eine halb zerstörte Welt hinterlassen haben, für Jahrhunderte hart am Wind segeln. Was es wirklich bedeutet, auf einem drei Grad wärmeren Planeten zu leben, wissen wir nicht; dieser Zustand ist zwar in der Erdgeschichte schon vorgekommen, nicht aber in der Naturgeschichte des Menschen. Der Planet wird ein anderer sein als der, an den er angepasst ist.

Dass im Zuge dieser langgestreckten Katastrophe oder – im günstigeren Fall – im Zuge eines dramatischen Anpassungsprozesses all jene Kulturen und politische Systeme, die auf ›Wohlstand in Freiheit‹ oder ›Wohlstand in Unfreiheit‹ fixiert waren, untergehen werden und dass der Kampf um übriggebliebene Ressourcen zu genozidalen Kriegen führen wird, ist leider wahrscheinlich; dazu wären dann das ›Extremwetter‹ und der ›Meeresspiegelanstieg‹ nur eine Begleitmusik.

Solange es aber so weit noch nicht ist, hat man allen Grund, sich zur Abmilderung des kommenden Klimawandels derjenigen Instrumente zu bedienen, die eben zur Verfügung stehen: technologischer Fortschritt und marktwirtschaftliche Instrumente genauso wie Konzepte der Suffizienz.

Denn alle Theorien darüber, wie man bei der vermeintlichen Gestaltung der Geschichte zu konsistenter Erkenntnis, konsequentem Handeln und somit zu einer Art moralischer Reinheit gelangt, sind intellektueller Kitsch. Das ist nicht erst ›im Angesicht der Katastrophe‹ so. Realgeschichte ist nicht Ausdruck eines Weltgeistes, sondern Vermischung von allem, was Menschen hervorzubringen imstande sind. Und das kann unter Umständen sogar eine gute Nachricht sein.

Klima-Shortcut #8: Kartoffelbrei und andere Verbrechen

Die konkreten Aktionsformen und auch die konkreten politischen Forderungen radikaler Klimaaktivisten sind mitunter bizarr.

Man wirft mit Kartoffelbrei auf Kunstwerke. Oder man fordert einen ›Gesellschaftsrat‹ als Ersatzmodell repräsentativer Demokratie, wohl weil man annimmt, dass eine Mehrheit der Bevölkerung ›eigentlich‹ das Klima schützen will und nur durch die vorhandenen politischen Entscheidungsstrukturen davon abgehalten wird.

Ich würde dieser demokratietheoretischen Vermutung nicht zustimmen, aber darauf kommt es hier nicht an. Als historisierender Beobachter politischer Protestbewegungen ist man ohnehin daran gewöhnt, dass Aktionsformen skurril sein können, und in späteren Geschichtsbüchern wird die Frage im Mittelpunkt stehen, inwiefern und warum ein multipel gestalteter Protest letztlich erfolgreich oder erfolglos war.

Das punktuelle Blockieren des Autoverkehrs für eine gewisse Zeitspanne, indem man sich am Asphalt festklebt, gehört aus meiner Sicht zu den plausibleren Aktionsformen. Es handelt sich um eine symbolische Handlung, die dem Ziel untergeordnet ist, die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs als ein Kernproblem ›unserer‹ kollektiven Lebensweise und als eine wesentliche Mitursache der Klimakrise anzusprechen.

Diese Aktionsform uriniert also gewissermaßen einem Elefanten ans Bein, der sowieso schon (und in Deutschland erst recht) unübersehbar im Raum steht. Einer solchen symbolischen Protestform unter sachlichen und thematischen Gesichtspunkten die Legitimität abzusprechen, wird schwierig, wenn man beispielsweise von der Perspektive des Umweltbundesamtes ausgeht und zu explorieren versucht, was eigentlich geschehen muss, um in Deutschland Klimaneutralität herbeizuführen. Der Verkehrssektor ist bekanntlich im Begriff, nichts zur Emissionsminderung beizutragen. Es ist insoweit vollkommen nachvollziehbar, dass der Protest sich genau hier, nämlich vor dem Kühlergrill eines Automobils positioniert.

Gleichwohl werden die Straßenblockaden von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt und einige Staatsanwaltschaften bemühen sich mit großem Belastungseifer darum, aktivistische Gruppen zu kriminellen Vereinigungen zu stilisieren. Ich vermute, dass diese Kriminalisierungsstrategie einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten wird, aber auch darauf kommt es hier nicht an.

Die Ablehnung seitens der Bevölkerung kann auf zweierlei Weise gedeutet werden: Entweder mögen es die Leute nicht, wenn sie persönlich für ein Mobilitätsverhalten ›angegriffen‹ werden, das auf jahrzehntelangen strukturellen Fehlsteuerungen in der Verkehrspolitik beruht. Oder sie möchten die Früchte dieser Fehlsteuerung als ›motorisierte Freiheit‹ genießen und wehren sich folglich gegen den bloßen Gedanken, dass der abstrakt vielleicht noch befürwortete Klimaschutz, realistisch betrachtet, mit einer Verkehrswende einhergehen müsste und daher womöglich konkrete Auswirkungen auf ihr Mobilitätsverhalten hätte.

Betrachtet man das Spektrum der Lautäußerungen zum Klimaaktivismus (sei es im parteipolitischen Milieu, im Journalismus oder in der privaten Diskussion), fällt es nicht schwer, sich für eine dieser beiden Deutungen zu entscheiden.

Klima-Shortcut #7: Die Ampel als kongeniales Desaster

Das totale Versagen der Ampelregierung könnte einen fassungslos machen.

Eigentlich war die Konstellation günstig und attraktiv: Die Grünen und die FDP hätten sich zu einer Klimapolitik zusammenfinden können, in der marktwirtschaftliche Instrumente wie der Emissionshandel mit eventuell erforderlichen regulativen Instrumenten kombiniert werden, und die SPD sorgt nötigenfalls für die soziale Komponente.

Im Wahlprogramm der FDP war die Fokussierung auf den Emissionshandel und das Klimageld als Ausgleich bereits formuliert. Von den Grünen erwartet man habituell eher Regulierungen und Förderprogramme. Aber wenn die deutschen Dekarbonisierungsziele erreicht werden sollen, müssen ohnehin beide Maßnahmenregister zusammenwirken. Eine Zusammenarbeit der Parteien war also naheliegend.

Sowohl die Emissionsbepreisung als auch jede regulatorische Maßnahme können zudem ungerechte Verteilungseffekte haben. Diese müssten durch teils pauschale, teils gezielte soziale Ausgleichsmaßnahmen kompensiert werden, und zwar ohne dabei die Emissionsminderung zu sabotieren. Das ist möglich. Man muss dafür aber rechnen und denken können. Und man muss das Gemeinwohl als ganzes im Auge behalten.

In der Realität ist etwas völlig anderes geschehen. Man hat so getan, als wäre der Klimaschutz in Deutschland ein spezifisches Anliegen der Grünen, das die ›industrielle Basis‹ des Landes und den Wohlstand der Bevölkerung gefährdet, und die beiden anderen Parteien haben sich entsprechend systematisch um Bremsung und Blockade bemüht. Das Gebäudeenergiegesetz ist in diesem Zusammenhang nur eine besonders idiotische Episode. Der Emissionshandel als Kernelement der EU-Klimapolitik kommt in der öffentlichen Diskussion nur selten vor und man gewinnt den Eindruck, dass die Logik von Emissionsbepreisung und Klimageld weder in den Parteien noch in der Bevölkerung noch im journalistischen Milieu überhaupt verstanden wird. Das ist symptomatisch für die Lage, in der sich Deutschland jetzt beim Klimaschutz befindet.

Eine zielbewusst agierende und kooperierende Ampelregierung hätte vieles richtig machen können, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie dabei eine große Mehrheit der Bevölkerung hätte ›mitnehmen‹ können, auch ohne alle explizit dort ›abzuholen‹, wo sie gerade stehen oder stehen geblieben sind. Eine positive Einstellung zur Transformation als gemeinsamer Aufgabe ist nicht zuletzt ein Phänomen der Diskursatmosphäre. Und eine solche Atmosphäre liegt in der Verantwortung der politischen Akteure.

Die politischen Akteure bis hinauf zum Bundeskanzler müssen aber wohl der Auffassung gewesen sein, dass ihre Verantwortung darin bestehe, vorhandene Stimmungen zu sondieren und ohne Rücksicht auf Zukunft und Gemeinwohl parteipolitisches Kapital daraus zu schlagen. Und in Deutschland ist die Angst vor Veränderung und eventuellen Wohlstandseinbußen so präsent, dass das lautverstärkende Nachplappern dieser Ängste und das Ummünzen in eine Transformationsblockade ihnen als aussichtsreichstes Geschäftsmodell erschienen sein muss.

In den Disziplinen der Verblödung und Verrohung wie auch der Irrealisierung der Weltwahrnehmung ist aber die AfD ohnehin führend. Ein Konkurrieren auf diesem Feld wird nicht erfolgreich sein.

Eine realistische, verantwortliche Politik muss reale Probleme identifizieren, muss darüber befinden, welche davon Gegenstand von politischem Handeln sein könnnen, muss verschiedene mögliche Lösungen präsentieren und sie schließlich, meistens im Kompromiss, ›angehen‹. Inzwischen ist leider unklar, ob noch irgendeine der im Bundestag vertretenen Parteien diese recht einfache Aufgabenbeschreibung akzeptiert.

 

 

Klima-Shortcut #6: Wandern und Klimaschutz

Wanderer sind besonders naturverbunden. Und weil die Wildnis, die unberührte Natur, von ihren Wohnplätzen mitunter weit entfernt ist, müssen sie öfters eine längere Anreise mit einem motorisierten Verkehrsmittel auf sich nehmen. Die psychische Umweltbilanz dieser Reiseform neutralisiert sich dadurch, dass sich in der eigenen Gefühlsökonomie beispielsweise Kerosin und Wildnissehnsucht problemlos miteinander verrechnen lassen; die bei der Anreise erzeugten Emissionen sind einfach der Preis, den ›die Natur‹ dafür zahlt, dass sie besonders geliebt wird.

Klammert man die Anreise aus, ist das Wandern allerdings eine nahezu klimaneutrale Form der Mobilität. Man geht eben zu Fuß, angetrieben von einem biologischen Verbrennungsmotor, der relativ kleine Mengen Fett und Kohlenhydrate und solche Dinge verbrennt. Das dabei entstehende Kohlendioxid wird friedvoll keuchend ausgeschieden.

Zu den unterschätzten Eigenschaften dieser Mobilitätsform gehört, dass sich der Aufwand für die Anreise beliebig abwärts skalieren lässt. Das heißt: Eine Wanderung gleich welcher Dauer könnte prinzipiell an der eigenen Haustür beginnen. Beim Wandern im touristischen Sinne geschieht das nur sehr selten; denn zumeist geht es darum, attraktive, eventuell spektakuläre Landschaften zu erkunden und in einem vorgegebenen Zeitrahmen das Naturerlebnis zu maximieren. Entsprechend lässt sich der Aufwand für die Anreise nicht nur abwärts, sondern auch aufwärts skalieren: Für das perfekte Naturerlebnis reist man eventuell schnell und weit.

Wandern ist angesichts dieser höchst unterschiedlichen Emissionswirkungen jedenfalls nicht per se ›klimaschonend‹. Das Verhältnis der Themen ›Wandern‹ und ›Klimaschutz‹ bleibt entsprechend vage, solange touristische Gewohnheiten im Zentrum der Betrachtung stehen. Aber es liegt ein Reiz darin, zu überlegen, welche Möglichkeiten sich auftun, wenn man die Perspektive etwas verändert.

Die Frage könnte nämlich lauten: Wohin gelangt man und wie weit kommt man (geografisch ebenso wie ›mental‹), wenn man anstelle der Erlebnismaximierung das Zu-Fuß-Gehen selbst in den Mittelpunkt stellt – sich also darauf kapriziert, dass diese ›Mobilität aus eigener Kraft‹, dieses ›Nicht-Angewiesensein auf eine Mobilitätsmaschine‹, das Wesentliche, nämlich ›Selbstzweckhafte‹ am Wandern sei?

Diese Frage ist glücklicherweise offen, und mit ihr auch die Frage, ob es sich um einen Verlust oder einen Gewinn handelt. Denn mit der ›Abrüstung‹ oder Herabstufung der ›Destination‹ geht auch die Abrüstung von programmierter zu bloß beiläufiger Erfahrung einher. Man erlebt also nicht mehr das, was andere an diesem oder jenem beliebten Wanderziel auch schon erlebt haben und weswegen sie vermutlich hergekommen sind, sondern man erlebt nur irgendetwas an einem Ort, den womöglich ›nie zuvor ein Wanderer gesehen hat‹. Das muss man dann zu schätzen wissen, um es genießen zu können.

Klima-Shortcut #5: Was ist Populismus?

Der Begriff ›Populismus‹ ist inzwischen mehrmals vorgekommen. Deshalb soll erklärt werden, wie er hier verwendet wird.

Populismus ist die Strategie, die eigene politische Position so zu gestalten, dass sie bei einer möglichst großen Zahl von Menschen auf unmittelbare Zustimmung stößt.

Der Name rührt daher, dass in einer solchen Strategie explizit oder implizit ›das Volk‹ angesprochen wird: als vermeintliche oder wirkliche Mehrheit, als ›einfacher Bürger‹ oder auch als besonders qualifizierte Teilmenge der Bevölkerung, die sich durch ihre Zustimmung als das ›wahre Volk‹ erweist, etwa in Absetzung von ›urbanen Eliten‹ und anderen Bevölkerungsteilen, die explizit oder implizit aus diesem ›Volk‹ ausgeschlossen werden.

Da demokratische Politik regelmäßig darauf abzielt, Mehrheiten für bestimmte politische Ziele zu gewinnen, also unterschiedliche Menschen zu gemeinsamer Zustimmung zu motivieren, ist Populismus nicht per se antidemokratisch, sondern steht in einem Verwandtschafts- und Spannungsverhältnis zu demokratischer Politik.

Allerdings unterscheidet sich die populistische Strategie von anderen Strategien der Mehrheitsfindung dadurch, dass sie auf unmittelbare Zustimmung abzielt. Deshalb werden bevorzugt aktuelle Stimmungen oder kollektive Ängste und Bedürfnisse aufgegriffen, durch die Art der Ansprache bestätigt und verstärkt und kurzfristig zu einem politischen Konsens verdichtet.

Der Vorzug solcher Strategien ist ihre Einfachheit. Komplizierte Dinge wie gesellschaftliche Interessendifferenzen, Minderheitenrechte, Verfassungsprinzipien oder Zukunftsperspektiven des Gemeinwesens spielen hier möglichst keine Rolle. Überhaupt tendiert der Populismus dazu, Aushandlungsprozesse zu überspringen und Unbedachtes als Ausdruck des gesunden Menschenverstandes zu präsentieren. Dieses Reflexionsdefizit ist gewissermaßen seine Natur.

Angesichts der bundesdeutschen Parteiendemokratie und ihrer ›Klimapolitik‹ kann man als Beobachter zudem auf die Idee kommen, zwischen bloß taktischem und essenziellem, sozusagen eingefleischtem Populismus zu unterscheiden. Bloß taktisch wäre der Populismus dann, wenn die Vereinfachung der Botschaft dazu dienen würde, Zustimmung für etwas zu erlangen, das jemand vorher durchdacht hat und für richtig hält. Essenzieller Populismus bedeutet hingegen, dass es gar kein verantwortliches Durchdenken und keine Überzeugungen mehr gibt, sondern nur noch eine Suche nach tagesaktuellen Stimmungsmehrheiten, die dann als Machtbasis für x-beliebige Parteipolitik dienen sollen.

Das Tragische an der gegenwärtigen Situation ist, dass sich die Parteien der Mitte angesichts der Herausforderung durch den Rechtspopulismus ihrerseits auf den Weg des essenziellen Populismus begeben haben. Das erklärt, wieso sie sich zwar gerne rhetorisch zu Klimazielen bekennen, zugleich aber real wirksame Maßnahmen in jedem Einzelfall sabotieren. Diese ›in sich widersprüchliche‹ Politik ist lediglich eine populistische Eins-zu-eins-Abbildung dessen, was die Bevölkerungsmehrheit ebenfalls denkt: dass nämlich das Klima zwar geschützt werden soll, aber ganz gewiss nicht durch eine politisch organisierte Dekarbonisierung der eigenen Lebensweise.

 

 

Klima-Shortcut #4: Demokratie und Klimaschutz

Eine demokratisch durchsetzungsfähige Klimapolitik müsste von der mehrheitlichen Einsicht ausgehen, dass die Dekarbonisierung eine zwar alternativlose, aber gestaltbare Transformation ist, in der es zu Verlust- und Gewinnerfahrungen unterschiedlichster Art kommen wird. Konsumgewohnheiten, Reiseverhalten, Ernährung, Wohnen und dergleichen werden sich irgendwie ändern. Manches wird sehr ungelegen kommen, manches andere wird unerwartet geschätzt werden.

Wenn man bei der Beschreibung dieser Transformation vor allem auf Verzicht und Kosten abhebt, befindet man sich auf einem falschen Denkweg, aber auf einem falschen Denkweg befindet man sich auch dann, wenn man suggeriert, es handele sich nur um einige technische Korrekturen etwa an der Antriebsart von Fahrzeugen, also um eine technische Verschönerung der Welt, während ansonsten die Wirtschaftsweise insgesamt unverändert bleiben könne.

Von dieser Einsicht in das Ausmaß, die Ambivalenzen, die Differenziertheit und Gestaltbarkeit der Transformation ist man derzeit in Deutschland weit entfernt. Deshalb wird es einstweilen gar keine erfolgreiche und zugleich demokratisch organisierte Klimapolitik geben. Politik und Öffentlichkeit befinden sich gewissermaßen in einer Transformationsstarre, die durch ein Zusammenspiel von Wohlstandspanik und habituell gewordener Zukunftsunlust in der Bevölkerung, populistischer Verlogenheit und milieubedingter Verengung der Parteipolitiken andererseits erzeugt worden ist.

Die Klimakrise war für eine ganze Weile das kollektive Gefühl, dass etwas geschehen müsse; inzwischen ist sie das Gefühl, dass etwas hätte geschehen müssen, das aber lieber doch nicht geschehen soll, weshalb man am liebsten das ganze Gefühl zu den Akten legen möchte.

So wird das also einstweilen nichts. Es würde schon gehen, aber es geht nicht.

In welche Zukunft eine mental so verfasste Gesellschaft hineintreibt, wird sich noch zeigen. Dabei ist zu bedenken, dass sich bestimmte technisch-physikalische Elemente der Transformation voraussichtlich auch ohne Beteiligung eines kollektiven Willens durchsetzen werden, und zwar gerade solche Elemente, die in Deutschland besonders umstritten sind. Dazu zählen etwa der batterieelektrische Antrieb beim ›Personenkraftwagen‹ und der Vorrang erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung. Sich den herbeigesehnten Verzicht auf eine Vorreiterrolle in diesen Feldern industriepolitisch als eine Strategie zum Schutz des nationalen Wohlstandes zurechtzulegen, ist gewagt, steht aber für die sich ausbreitende Hoffnung, dass am ›mecklenburgischen Wesen‹ – also am trotzigen Stillstand – einmal die Welt genesen wird.

Klima-Shortcut #3: Der Preis als Zauberstab

Preise sind wirksame Verhaltensmotive, wirksamer jedenfalls als moralische Überzeugungen.

Während die moralische Überzeugung, dass wir alle etwas für den Klimaschutz tun sollten, vor allem die Funktion hat, bei demjenigen, der sie ausspricht, ein Wohlbefinden zu erzeugen, hat ein hoher Preis beispielsweise den Effekt, dass sich jemand gegen einen bestimmten Konsumakt und für einen anderen entscheidet. Das ist ziemlich banal und lässt sich beim Betrachten des eigenen Verhaltens leicht nachvollziehen. Wenn Hafermilch wesentlich billiger wäre als gewöhnliche Kuhmilch, würde für jemanden wie mich, der ungefähr 500 Liter Milch im Jahr verbraucht, die Umstellung im Alltag unversehens zu einem ›interessanten Projekt‹. Genauso bewirkt ein plötzlich ansteigender Benzinpreis auch bei jemandem, der mit ökologischen Motiven gar nichts am Hut hat, eine Zurückhaltung bei offensichtlich überflüssigen Autofahrten.

Eine Gestaltung der Preisstrukturen von Konsumgütern kann also Dekarbonisierungseffekte haben, ohne dass irgendeine darin liegende Moralität explizit anerkannt und bei der einzelnen Entscheidung explizit berücksichtigt werden müsste.

Derzeit ist es so, dass die Preise vieler Konsumgüter die klimaschädlichen Emissionen, die mit ihrem Konsum verbunden sind, nicht widerspiegeln. Solange die Emission als solche keinen Preis hat, ist es gewissermaßen ›die Natur‹ oder die Atmosphäre, die den Konsum ›subventioniert‹, indem sie den entstandenen Schaden klaglos auf sich nimmt. Und insofern diese ›Natur‹ der Lebensraum zukünftiger Menschen ist, findet mit dem gegenwärtigen ›Raubbau‹ ein Ressourcentransfer von den zukünftigen zu den gegenwärtig lebenden Menschen statt.

Dieses Ding, dass es Zukunft für andere Menschen geben soll und dass zukünftige Lebensqualität nicht egal ist, ist eigentlich das einzige moralische Argument in dieser Überlegung. Wenn man es anerkennt, macht die Bepreisung von Emissionen Sinn. Sie ist sozusagen die allgemeinste Art und Weise, unserer ›Zukunftsverantwortung‹ oder – weniger pathetisch – dem ›natürlichen Zukunftsbezug‹ unserer Wirtschaftsweise eine Form zu geben.

Dass die sozialen Gerechtigkeitsfragen, die mit der Bepreisung verbunden sind, hier nicht mitverhandelt werden, ist übrigens dem Shortcut-Format geschuldet: Jeder Beitrag konzentriert sich auf einen einzelnen Gedanken.

Klima-Shortcut #2: Emissionshandel

Der Emissionshandel ist unter allen Instrumenten der Klimapolitik das logisch einfachste und effizienteste:

Nationale Behörden innerhalb der EU-Mitgliedstaaten versteigern Emissionsrechte an einen bestimmten Kreis von Adressaten; im Falle des EU-Emissionshandels sind das in der Hauptsache Betreiber industrieller Anlagen und in der zweiten Stufe ab 2027 (EU-ETS II) auch ›Inverkehrbringer‹, also Händler von fossilen Brennstoffen. Diese Adressaten geben zum einen die Kosten für die erworbenen Zertifikate an ihre Kunden weiter, zum anderen können sie je nach Bedarf Zertifikate an der Börse kaufen oder verkaufen. Infolgedessen bildet sich ein Marktpreis für Emissionsrechte, der sich in den Endverbraucherpreisen, etwa im Benzin-, Heizöl- und Erdgaspreis, aber auch in den Preisen sonstiger industriell hergestellter Konsumgüter abbildet.

Im Vergleich mit Instrumenten der Regulierung oder Investitionsförderung, wie sie etwa das Gebäudeenergiegesetz enthält, hat ein solches Bepreisungssystem den Vorteil, dass die wirtschaftlichen Akteure, also etwa Unternehmen und Verbraucher, nunmehr selbst entscheiden können, ob, wann und wie sich welche konkreten Maßnahmen zur Emissionsminderung für sie lohnen. Diejenigen Maßnahmen, die zu den geringsten Kosten umzusetzen sind, erfolgen zuerst.

Der Staat braucht auf dieser konkreten Ebene einstweilen nicht einzugreifen, zumal er das dazu nötige Detailwissen über die Situation der einzelnen Unternehmen und der einzelnen Verbraucher auch gar nicht hat. Er sorgt nur dafür, dass die (als Cap bezeichnete) Gesamtmenge der für einen bestimmten Zeitraum versteigerten Emissionszertifikate den politisch festgelegten Minderungszielen entspricht. Es entsteht also ein Automatismus der Emissionsminderung, der den einzelnen Wirtschaftssubjekten relativ viel Entscheidungsfreiheit lässt.

Einerseits wird die Verursachung von klimaschädlichen Emissionen auf diese Weise mit zusätzlichen Kosten belastet – das ist Sinn und Zweck der Bepreisung. Andererseits generiert der Staat durch die Versteigerung der Zertifikate jährliche Einnahmen in mindestens zweistelliger Milliardenhöhe. Würden diese Einnahmen in den Bundeshaushalt fließen, so hätte man es einfach mit einer gravierenden Besteuerung zu tun. In der ursprünglichen Logik des Systems liegt es hingegen, die Einnahmen entweder zweckgebunden für spezifische Klimaschutz-Investitionen (also etwa Investitions- und Forschungsförderung) zu verwenden oder sie als Pro-Kopf-Klimageld an die Bürger:innen zurückzuzahlen.

Die Idee des Klimageldes mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, weil das Geld irgendwie im Kreis zu fließen scheint: Was durch die Bepreisung mit der einen Hand genommen wird, wird mit der anderen zurückgegeben. Tatsächlich ist es aber so, dass einkommensstärkere Privathaushalte im Durchschnitt mehr Emissionen verursachen, also auch durch die Bepreisung stärker belastet werden als ärmere Haushalte. Das Pro-Kopf-Klimageld würde also im Durchschnitt eine soziale Umverteilung von oben nach unten bewirken – zusätzlich zu dem Haupteffekt des CO2-Preises, der darin besteht, dass klimaschädliche Konsumgewohnheiten unattraktiver werden.

Dass ich die Grundideen des Emissionshandels und des Klimageldes hier quasi didaktisch dargestellt habe, liegt daran, dass sie in der öffentlichen politischen Diskussion völlig unzureichend präsent sind, obwohl sie zum Kernbereich der EU-Klimapolitik gehören. Für diese Diskrepanz dürfte es politische und gesellschaftliche Gründe geben, die in weiteren Beiträgen erörtert werden sollen.

Klima-Shortcut #1: Heute keine Klimakatastrophe

Das Interesse des Publikums am Thema Klimawandel hat zuletzt stark nachgelassen. Als Klimawissenschaftlerin könnte man sich darüber wundern, aber die Wahrheit wird wohl sein, dass die Konjunktur politischer Themen einer Logik des Populismus folgt, die der Logik des Warenkonsums ähnelt. Man beschäftigt sich also mit einem solchen Thema, solange damit irgendeine Art von Wohlbefinden verbunden ist, sei es auch in Form von gemeinsamer Empörung und Erregung.

Derzeit ist das gerade nicht der Fall. Das Publikum hat bei diesem Thema nichts mehr zu gewinnen. Besorgnis und viel guter Wille wurden bereits gemeinsam zum Ausdruck gebracht. Aber dann hat sich herausgestellt, dass jede realistische Klimaschutzpolitik einen Preis haben wird. Nicht unbedingt in Gestalt von berechenbaren pekuniären Kosten für jeden Einzelnen, wohl aber in Gestalt von Transformationen des eigenen Konsumverhaltens, seien sie nun durch gesetzliche Regulierungen oder durch Bepreisung von Emissionen herbeigeführt. Heizung, Haus, Urlaub, Auto, Fleisch und Milch: Überall droht Veränderung, irgendwann.

Und da man diese Veränderungen nicht en passant selbst gestalten kann (wie man etwa eine dieser Bambuszahnbürsten kaufen könnte, um sich wohlzufühlen), wendet man sich mit Grausen von dem Thema ab. Und auch von denjenigen politischen Parteien, die das Thema üblicherweise vermarkten.