Schlagwort-Archive: Prädikatswanderwege

Wo laufen sie denn? Kein Wanderboom und andere Trends

Wenn man im Internet den Begriff ›Wanderboom‹ in eine Suchmaschine eingibt, bekommt man meistenteils ein und dieselbe Story aufgetischt: Früher hatte das Wandern ein verstaubtes Image, Wanderer trugen Kniebundhosen und rote Kniestrümpfe, heute aber ist das Wandern wieder modern und liegt gerade beim jüngeren Publikum im Trend. Diese Story, an der nicht einmal die Rekonstruktion der Klischees stimmt, ist irgendwann zu Beginn des Jahrtausends von den Protagonisten des ›Neuen Wanderns‹ erzählt und dann einige Jahre lang von Lobbyisten, Werbetextern und Journalisten (also von Leuten, die sogenannte Kreativberufe ausüben) mechanisch nachgeplappert worden. Jüngstes Beispiel ist ein – im Übrigen nicht ganz uninteressanter – Artikel von Dirk Schümer in der Welt.

Dem sonst von mir gern kritisierten Deutschen Wanderinstitut und seinem Autor Rainer Brämer (die an der Verbreitung der ›Story‹ nicht ganz unbeteiligt waren) kommt das Verdienst zu, noch einmal nachgezählt zu haben, und zwar durch den Vergleich verschiedener quantitativer Erhebungen zum Wanderverhalten der Bevölkerung. Das Fazit dieses Nachzählens lautet: »Es gibt keinen neuen Wanderboom. Erst recht nicht unter jungen Zeitgenossen«.

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Glanz und Elend der Landschaftspsychologie

Die Vorstellung, dass unser Alltagsverhalten weitgehend durch genetische Programme determiniert sei, in denen sich die Erfahrungen unserer Urahnen manifestieren, ist für viele Menschen vermutlich aus zwei Gründen attraktiv.

Erstens entlastet eine solche Theorie den Einzelnen von jenem Übermaß an Verantwortung, das die moderne Gesellschaft ihm üblicherweise aufbürdet. Zweitens ermöglicht sie ihm ein Überlegenheitsgefühl in dem Sinne, dass er sich nunmehr einbilden kann, das Verhalten anderer Menschen besser zu verstehen als diese selbst. Die bedrohliche Kontingenz des Verhaltens anderer schrumpft damit zum Material eines Gesellschaftsspiels, in dem man dem Anderen mit blasiertem Lächeln vorhalten kann, er sei eine Marionette dieses und jenes genetischen Programms, das man selbst aber durchschaut habe.

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»Muss es immer Premium sein?« – Kratzspuren einer Debatte

Systematische Kritik an der Idee des Premiumwanderns gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Regional wird seitens der klassischen Wandervereine gelegentlich die Frage aufgeworfen, inwiefern die Entstehung von zertifizierten Prädikatswegen zu einer Überforderung der ehrenamtlichen Wegearbeit führt oder sogar die bisherige, gleichsam flächendeckende Pflege des Wanderwegenetzes gleichsam entwertet. Beiträge zu dieser Debatte findet man zum Beispiel in Heft 3/2015 der Zeitschrift des Schwarzwaldvereins.

Der Pressesprecher des Schwarzwaldvereins Stephan Seyl stützt in diesem Heft seine persönliche Kritik des ›Zertifizierungswahns‹ zwar auf Grundsatzüberlegungen zur Landschaftsästhetik, zur Erlebnisinszenierung und zum Konsumverhalten, aber diese Stellungnahme (mit der ich sympathisiere) bleibt gewissermaßen singulär:

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Premiumwandern (III)

Was am Konzept des Premiumwanderns Widerspruch herausfordert, ist nicht der Umstand, dass überhaupt Wege ausgesucht, markiert und gepflegt werden, sondern dass eine inszenierte Erlebnisverkettung die explorative Erfahrung der Landschaft ersetzen soll. Das Wandern wird dadurch zu einem heteronom organisierten Erlebniskonsum.

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Premiumwandern (II)

Wie war das eigentlich ›früher‹? Wenn man als Jugendlicher mit seinen Eltern wandern gegangen ist, fuhr man vielleicht mit dem Auto zu einem Wanderparkplatz und ging einen Rundweg, der nach Maßgabe des Zeitbudgets auf der Wanderkarte grob geplant und dann eventuell abgekürzt oder verlängert wurde.

Das konkrete ›Medium‹, in dem sich bei dieser Art des Wanderns so etwas wie ein Handlungsplan konstituieren kann, ist typischerweise eine topografische Karte mit Wanderwegen, und die Realitätsebene, in der sich der Handlungsplan realisiert, ist eine Landschaft, die von einem Wegenetz überzogen ist – oder vielmehr ein Wegenetz, das gleichsam über die Landschaft geworfen worden ist. Ein ›Weg‹ ist in diesem Zusammenhang jede für den Fußgängerverkehr geeignete ›Bahn‹ – trassiert oder bloß ausgetreten, Pfad oder Forststraße.

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Premiumwandern (I)

Wandern bedeutet, sich auf einen Dialog mit einer Landschaft einzulassen. Das Gehen ist ein behutsames Fragen, und die Landschaft ›antwortet‹ im Zeitmaß dieses Gehens.

Man wählt dabei einen Weg, eine Route. Zumindest mache ich das so. Der Weg wählt nicht mich, sondern ich wähle ihn, und oft gibt es unterwegs Gründe, von der bloß ungefähr geplanten Route abzuweichen. Ich verschaffe mir vorher einen Überblick über die Gegend, in der ich unterwegs bin. Wandern heißt, sich in einer Landschaft orientieren.

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