Schlagwort-Archive: Zertifizierung

Glanz und Elend der Landschaftspsychologie

Die Vorstellung, dass unser Alltagsverhalten weitgehend durch genetische Programme determiniert sei, in denen sich die Erfahrungen unserer Urahnen manifestieren, ist für viele Menschen vermutlich aus zwei Gründen attraktiv.

Erstens entlastet eine solche Theorie den Einzelnen von jenem Übermaß an Verantwortung, das die moderne Gesellschaft ihm üblicherweise aufbürdet. Zweitens ermöglicht sie ihm ein Überlegenheitsgefühl in dem Sinne, dass er sich nunmehr einbilden kann, das Verhalten anderer Menschen besser zu verstehen als diese selbst. Die bedrohliche Kontingenz des Verhaltens anderer schrumpft damit zum Material eines Gesellschaftsspiels, in dem man dem Anderen mit blasiertem Lächeln vorhalten kann, er sei eine Marionette dieses und jenes genetischen Programms, das man selbst aber durchschaut habe.

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»Muss es immer Premium sein?« – Kratzspuren einer Debatte

Systematische Kritik an der Idee des Premiumwanderns gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Regional wird seitens der klassischen Wandervereine gelegentlich die Frage aufgeworfen, inwiefern die Entstehung von zertifizierten Prädikatswegen zu einer Überforderung der ehrenamtlichen Wegearbeit führt oder sogar die bisherige, gleichsam flächendeckende Pflege des Wanderwegenetzes gleichsam entwertet. Beiträge zu dieser Debatte findet man zum Beispiel in Heft 3/2015 der Zeitschrift des Schwarzwaldvereins.

Der Pressesprecher des Schwarzwaldvereins Stephan Seyl stützt in diesem Heft seine persönliche Kritik des ›Zertifizierungswahns‹ zwar auf Grundsatzüberlegungen zur Landschaftsästhetik, zur Erlebnisinszenierung und zum Konsumverhalten, aber diese Stellungnahme (mit der ich sympathisiere) bleibt gewissermaßen singulär:

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Premiumwandern (III)

Was am Konzept des Premiumwanderns Widerspruch herausfordert, ist nicht der Umstand, dass überhaupt Wege ausgesucht, markiert und gepflegt werden, sondern dass eine inszenierte Erlebnisverkettung die explorative Erfahrung der Landschaft ersetzen soll. Das Wandern wird dadurch zu einem heteronom organisierten Erlebniskonsum.

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Premiumwandern (II)

Wie war das eigentlich ›früher‹? Wenn man als Jugendlicher mit seinen Eltern wandern gegangen ist, fuhr man vielleicht mit dem Auto zu einem Wanderparkplatz und ging einen Rundweg, der nach Maßgabe des Zeitbudgets auf der Wanderkarte grob geplant und dann eventuell abgekürzt oder verlängert wurde.

Das konkrete ›Medium‹, in dem sich bei dieser Art des Wanderns so etwas wie ein Handlungsplan konstituieren kann, ist typischerweise eine topografische Karte mit Wanderwegen, und die Realitätsebene, in der sich der Handlungsplan realisiert, ist eine Landschaft, die von einem Wegenetz überzogen ist – oder vielmehr ein Wegenetz, das gleichsam über die Landschaft geworfen worden ist. Ein ›Weg‹ ist in diesem Zusammenhang jede für den Fußgängerverkehr geeignete ›Bahn‹ – trassiert oder bloß ausgetreten, Pfad oder Forststraße.

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Premiumwandern (I)

Wandern bedeutet, sich auf einen Dialog mit einer Landschaft einzulassen. Das Gehen ist ein behutsames Fragen, und die Landschaft ›antwortet‹ im Zeitmaß dieses Gehens.

Man wählt dabei einen Weg, eine Route. Zumindest mache ich das so. Der Weg wählt nicht mich, sondern ich wähle ihn, und oft gibt es unterwegs Gründe, von der bloß ungefähr geplanten Route abzuweichen. Ich verschaffe mir vorher einen Überblick über die Gegend, in der ich unterwegs bin. Wandern heißt, sich in einer Landschaft orientieren.

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