Alle Beiträge von Igelstroem

Glanz und Elend der Landschaftspsychologie

Die Vorstellung, dass unser Alltagsverhalten weitgehend durch genetische Programme determiniert sei, in denen sich die Erfahrungen unserer Urahnen manifestieren, ist für viele Menschen vermutlich aus zwei Gründen attraktiv.

Erstens entlastet eine solche Theorie den Einzelnen von jenem Übermaß an Verantwortung, das die moderne Gesellschaft ihm üblicherweise aufbürdet. Zweitens ermöglicht sie ihm ein Überlegenheitsgefühl in dem Sinne, dass er sich nunmehr einbilden kann, das Verhalten anderer Menschen besser zu verstehen als diese selbst. Die bedrohliche Kontingenz des Verhaltens anderer schrumpft damit zum Material eines Gesellschaftsspiels, in dem man dem Anderen mit blasiertem Lächeln vorhalten kann, er sei eine Marionette dieses und jenes genetischen Programms, das man selbst aber durchschaut habe.

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»Muss es immer Premium sein?« – Kratzspuren einer Debatte

Systematische Kritik an der Idee des Premiumwanderns gibt es in Deutschland so gut wie gar nicht. Regional wird seitens der klassischen Wandervereine gelegentlich die Frage aufgeworfen, inwiefern die Entstehung von zertifizierten Prädikatswegen zu einer Überforderung der ehrenamtlichen Wegearbeit führt oder sogar die bisherige, gleichsam flächendeckende Pflege des Wanderwegenetzes gleichsam entwertet. Beiträge zu dieser Debatte findet man zum Beispiel in Heft 3/2015 der Zeitschrift des Schwarzwaldvereins.

Der Pressesprecher des Schwarzwaldvereins Stephan Seyl stützt in diesem Heft seine persönliche Kritik des ›Zertifizierungswahns‹ zwar auf Grundsatzüberlegungen zur Landschaftsästhetik, zur Erlebnisinszenierung und zum Konsumverhalten, aber diese Stellungnahme (mit der ich sympathisiere) bleibt gewissermaßen singulär:

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Tageswanderung zum Baasee

Sonnabend, 4. März 2017 (12,5 km)

Wandern ist ein Hobby der weißen Mittelschicht des globalen Nordens. An dieser Einsicht führt sozusagen kein Weg vorbei, auch wenn das Thema einer ethnischen Segregation des Outdoor-Sports im Allgemeinen und des Wanderns im Besonderen in der deutschsprachigen Tourismusforschung so gut wie keine Rolle zu spielen scheint. Man weiß das einfach aus der Alltagserfahrung und redet normalerweise nicht darüber. Besonders gewitzte Zeitgenossen würden vielleicht erklären, dass ihnen die Hautfarbe ohnehin nichts bedeutet und sie daher nicht darauf achten, ob ihnen auf einem Wanderweg jemals ein Mensch mit dunkler Hautfarbe begegnet ist.

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Minimalistisches Reiskochen beim mehrtägigen Wandern

[Der Titel dieses Beitrags wurde geändert, nämlich spezifischer formuliert – um ein Suchmaschinenpublikum fernzuhalten, das sich aus Lifestylegründen für das Thema Minimalismus + Ernährungsoptimierung interessiert.]

Normalerweise geht es beim ›Kochen für Wanderer‹ darum, wie man mit vertretbarem Aufwand eine vollwertige, gesunde, nährstoffreiche warme Mahlzeit herstellt, die so ähnlich aussieht wie das Essen zuhause. Dafür braucht man einen Topf bestimmter Mindestgröße (im UL-Bereich etwa 500-600 ml, um zum Beispiel das Wasser für gefriergetrocknete Trekkingnahrung zu erhitzen) und einen Kocher, der einigermaßen effizient funktioniert und eine gewisse Mindestleistung erbringt. Gas-, Spiritus- oder Hobokocher sind dann naheliegende Lösungen.

Meine eigene Problemstellung weicht davon ab, und entsprechend fallen auch die technischen Lösungen etwas anders aus:

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Exploration und Konsum: Landschaftswahrnehmung beim Wandern

[Letzte Erweiterung: 15.03.2017]

Konsumismus

Konsumismus ist die Überzeugung, dass ›Konsum‹ – das heißt die Aneignung von Gütern – für den Menschen einen sinnvollen selbstzweckhaften Lebensinhalt darstellt. Ein solcher Selbstzweck kann der Konsum in modernen Wohlstandsgesellschaften unter anderem deshalb sein, weil für den Konsumenten die Auswahl aus einem Überangebot an Gütern eine Praxis der Individualisierung ist. In einem Umfeld, in dem sich alle mit der Aneignung von Gütern beschäftigen und zugleich alle nach Identität suchen, kann das Konsumprofil des Einzelnen als seine unverwechselbare Identität erscheinen, und der Konsum kann folglich als die Daseinssphäre erscheinen, in der Menschen überhaupt Identität gewinnen.

Eine geistige Totalisierung des Konsumismus tritt ein, wenn jedes Wirklichkeitsverhältnis die Form der Aneignung einer Ware annimmt. Auch im Verhältnis zur geographischen Landschaft ist ein solches Übergreifen konsumistischer Handlungsmuster möglich: Dem Touristen, Outdoor-Sportler oder Wanderer kann die Landschaft oder die ›Natur‹ als Produzentin von Erlebnisprodukten erscheinen, die durch Reisen und körperliche Anstrengung erworben und in einem Portfolio wertvoller ›Erinnerungen‹ angesammelt werden können.

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Tageswanderung Niederfinow – Brodowin – Chorin

Donnerstag, 24. November 2016 (21,3 km)

Diese Wanderung beginnt am Bahnhof Niederfinow, wo der früheste meiner ODS-Reiseberichte (»Von Strausberg nach Niederfinow«) endete, und ein überaufmerksamer Leser all dieser Berichte könnte feststellen, dass mit den letzten beiden Tagestouren eine geographische Lücke geschlossen wird: auf einer Route, die von Strausberg in die Uckermark und dann entlang der Mecklenburgischen Seenplatte bis fast nach Wismar oder Schwerin führt. Die Berichtslücke zwischen Niederfinow und Angermünde entspricht aber nicht unbedingt einer ›weißen Zone‹ meiner bisherigen Wanderpraxis, eher im Gegenteil; denn von Chorin nach Brodowin bin ich oft, zu verschiedenen Jahreszeiten und in verschiedener Begleitung gewandert – vor Jahren auch mal mit einem schlafenden Kleinkind in der Rückentrage, woraufhin der weißhaarige Gärtner am Kloster Chorin der Meinung war, es sei ja sehr anerkennenswert, dass ein Mann meiner Bauart ein Kind durch den Wald trage. Noch heute rätsele ich manchmal, was er damit sagen wollte.

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Tageswanderung Angermünde – Chorin (Grumsiner Forst)

Sonnabend, 19. November 2016 (20,8 km)
UNESCO-Weltnaturerbe

Der Buchenwald Grumsin liegt im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und ist ein Teilgebiet des UNESCO-Weltnaturerbes ›Buchenwälder der Karpaten und alte Buchenwälder Deutschlands‹. Tageswanderung Angermünde – Chorin (Grumsiner Forst) weiterlesen

›Seitwärts durch den Wald‹ – eine Einwanderung (von Thüringen nach Franken)

Mehrtageswanderung von ca. 170 km Länge

Diese Wanderung beginnt an einem sonnigen, unmäßig heißen Junitag in Kaulsdorf an der Saale, das sich irgendwie durch seine geografische Lage auf der Nordseite des Wandergebiets und durch seine verkehrstechnische Erreichbarkeit als Startpunkt qualifiziert hat. Von hier geht es nach Süden, über ein von Thüringern bewohntes Gebirge, durch einen von Franken bewohnten Wald, in ein anderes Flusstal, dort wieder auf einen Berg, den schon die Kelten bewohnt haben, als es noch keine Franken gab – und so weiter, gewissermaßen einem Lied folgend, dem das Titelzitat ›Seitwärts durch den Wald‹ entnommen ist.

Das Land ist ein Gottesgarten, in dem räudige Schäflein mit leichter Hand ihr Zelt auf frisch gemähten Wiesen aufschlagen und sich von Bratwürsten und Bier und Apfelschorle ernähren, sofern nicht der ›Einsiedelmann‹, von dem im Lied die Rede ist, gerade bei der ›schönen Schnitterin‹ steht und sich mit ihr über Motorsensen unterhält. Dann nämlich ist die Schankwirtschaft geschlossen, man winkt ihm vergeblich und muss sich auf den Friedhof schleichen, wo anstelle der schönen Schnitterin der Kirchenvorstand dem durstigen Wanderer entgegentritt, ihn vom Diebstahle aus dem Wasserhahn abzuhalten. »Machen Sie das öfter?« Na klar: ›Die Pforten brech ich ein und trinke, was ich finde. Oh heilge Frau von Großgeschwenda, verzeih mir Durst und Sünde.‹

Nur dass eben Großgeschwenda noch in Thüringen liegt, wo das besagte Lied gar keine Gültigkeit hat und nichts entschuldigt.

Den ganzen Bericht im ODS-Forum lesen (bitte hier klicken)

Was ist eine Landschaft?

[Letzte Änderung am Text: 14.06.2017]

Der folgende Beitrag präsentiert eine Definition von ›Landschaft‹, sozusagen im Geist einer realistischen Phänomenologie, und erläutert die einzelnen Komponenten dieser Definition. Es geht dabei um die Frage, was Landschaft für ›uns‹ ist, bevor wir anfangen, sie als Fotomotiv , Schlachtfeld, landwirtschaftliche Nutzfläche oder Sportareal wahrzunehmen.

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