Würden Sie eine Emotion kaufen, wenn Sie einen Rucksack brauchen?

Das bereits erwähnte Interview mit dem früheren Deuter-Geschäftsführer Bernd Kullmann im FAZ-Magazin von Juni 2015 endet so:

»Also ich bin jetzt Markenbotschafter. Es geht ja nicht nur um die Vermittlung von Fakten, es geht immer auch um Emotionen. Als ich bei meinem ersten Führungsseminar die Marke präsentierte, hab’ ich gefragt: Was verkauft Deuter? Da haben mich alle komisch angeschaut und gesagt: Rucksäcke. Und ich hab’ gesagt: Falsch! Emotionen. Wir verkaufen Emotionen.«

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Irgendwie hat man das Gefühl, man habe das als eine Art Hampelmann-Phrase schon tausendmal gehört. Das stimmt auch. Denn was Kullmann hier wie eine bahnbrechende unternehmerische Erkenntnis präsentiert, hat ja schon seit längerem den Status einer Standard-Doktrin: Wachstum in gesättigten Konsummärkten ist eher durch emotionale Aufwertung des Produkts als durch Steigerung des Gebrauchswertes möglich. Deshalb wird die Positionierung der Marke immer wichtiger, und die Produktentwicklung tritt dahinter zurück.

Freiwillige Komik

Aber in der bewusst pointierten Aussage »Wir verkaufen Emotionen« liegt zugleich eine gewisse Komik – sozusagen eine mit Stolz vorgetragene Abwertung der eigenen Leistung –, die nur dadurch möglich wird, dass die darin wirksame strategische Überlegung tatsächlich aus einem Shareholder-Value-Ansatz hervorgeht. Man könnte sich den Satz auch so übersetzen:

»Es ist ja klar, dass unsere Produkte hinsichtlich ihres Gebrauchswertes vollkommen austauschbar sind. Wenn wir also etwas verkaufen wollen, dann sollten wir den Kunden von der Frage des Gebrauchswertes ablenken und ihn veranlassen, sich aus bloß emotionalen Gründen für unsere Marke zu entscheiden. Dass diese Strategie aussichtsreich ist, liegt erstens daran, dass man den Shareholder-Value-Ansatz seit Jahrzehnten erfolgreich als Inbegriff der unternehmerischen Rationalität propagiert hat (so dass der Kunde es inzwischen zum Beispiel vernünftig findet, von uns getäuscht zu werden, wenn es den Unternehmenswert steigert), zweitens daran, dass dem Kunden der Gebrauchswert tatsächlich egal ist und er sich mit dem Produkt nur emotional wohlfühlen will. Sie sehen also: Verachtung des eigenen Produkts und Verachtung des Kunden sind einander bedingende Merkmale einer modernen Markenstrategie.«

»Wir verkaufen Emotionen« ist natürlich prägnanter.

Tragesysteme und Gefühlslagen

Ob die Ingenieure in der Entwicklungsabteilung von Deuter mit Kullmanns Proklamation einverstanden sind, steht dahin. In Wirklichkeit ist es ja so, dass Deuter sich bei der Entwicklung moderner Rucksacktragesysteme wirklich Mühe gegeben hat. Und ein Tragesystem, das für viele Menschen bequem ist, ist als solches erst einmal keine Emotion, auch wenn es vielleicht Emotionen auslöst.

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Kullmann hat es im Interview auch versäumt, anzugeben, welche Emotionen denn zurzeit im Angebot sind. Möglicherweise weiß er es aber als Markenbotschafter. Ich selber habe bisher von Deuter weder einen Rucksack noch eine Emotion gekauft. Die Tragesysteme passen mir nicht besonders gut, aber das hat nichts zu sagen. Emotional verbinde ich mit der Marke ebenfalls nichts. Die Ästhetik der Produkte ist alles andere als markant, und die hohe Marktdurchdringung in Deutschland, wie immer sie erreicht worden ist, hat die Kehrseite, dass ein Deuter-Rucksack jetzt eben ein Jedermannsrucksack ist. Das wäre mir unbehaglich, aber wenn ein solcher Rucksack sonst gut zu mir wäre, könnte ich trotzdem ›Gefühle für ihn haben‹. Dazu ist es nicht gekommen.

Meinen eigenen Rucksack indessen liebe ich heiß und innig. Aber das ist ein anderes Thema.

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