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Klima-Shortcut #10: Öffentlichkeit als Kränkung. Warum es in Deutschland keine Verkehrswende geben kann

Der öffentliche Personenverkehr in Berlin funktioniert eigentlich relativ zuverlässig. Das heißt: Man kommt von A nach B, wenn man weiß, wie es geht. Man kommt auch von Berlin nach Burg Stargard, wo sich mein Gartenhaus befindet. Das geht mit dem Zug in aller Regel weitaus bequemer als mit dem Auto, selbst wenn man, wie das jetzt bei mir der Fall ist, regelmäßig eine Traglast mitnimmt.

Innerhalb der Stadt würde man sich freilich nicht auf den ÖPNV festlegen wollen, denn viele Wege lassen sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad (oder gelegentlich auch mit einem nichtmotorisierten sogenannten Kinderroller) angenehmer zurücklegen. Multimodalität in diesem Sinne ist naheliegend, wenn man nicht erst seit gestern in der Stadt ist.

Eine innerstädtische ›Verkehrswende‹ in einem qualifizierten Sinne, wie man sie etwa in anderen europäischen Metropolen (Kopenhagen, Amsterdam, Paris) beobachten kann, wird es in Berlin und überhaupt in Deutschland aber niemals geben.

Warum das so ist, kann man sich heute an einem Beitrag von Anna Mayr in der ZEIT vergegenwärtigen. Die Autorin erläutert unter dem Titel ›Trennungsbedarf‹, wieso sie sich vom öffentlichen Verkehr sozusagen aufgrund moralischer Enttäuschung abgewandt hat und in Zukunft das Auto als Verkehrsmittel präferieren möchte.

Anekdotisch liefert Mayrs Beitrag ein Zerrbild der Mobilitätsverhältnisse mit dem Tenor: Man kommt nirgends zu berechenbaren Zeiten an, und Radfahren wäre ohnehin tödlich. (»Natürlich kann man Fahrrad fahren in Berlin, aber gleichzeitig würde ich wahnsinnig gerne älter als 30 werden.«)

Den Mentalitätshintergrund der Argumentation würde ich folgendermaßen reformulieren – und damit wird auch klar, inwiefern das, was Mayr schreibt, ins Innerste jener Erstarrung führt, die die Verkehrswende in Deutschland dauerhaft unmöglich macht:

(1) Verkehr in einem von anderen Menschen bewohnten Raum ist das schnellstmögliche Zurücklegen einer Strecke, das Erreichen meines Ziels, und die Aufgabe anderer Menschen dabei ist, mich zu transportieren oder mir aus dem Weg zu gehen.

(2) Der öffentliche Raum ist eine Verkehrsfläche, die keine andere Funktion hat als die, durchquert zu werden. Idealerweise bleibt die Durchquerung als solche privat, das heißt sie findet in einer Kapsel statt, in der mir Andere nicht als Fremde begegnen, mit denen ich Räume teilen muss.

(3) Öffentlichkeit ist ein Übel, das an den Grenzen der Privatheit entsteht und den Charakter einer moralischen Beleidigung hat. Das Gute ist mein privates und familiäres Erfolgsstreben, das mit solcher Öffentlichkeit in Konflikt gerät, wenn viele verschiedene Menschen in einem urbanen Raum zusammenleben.

(4) Die eigene nichtmotorisierte Bewegungskompetenz ist so geschwächt, dass sie zur urbanen Mobilität keinen Beitrag mehr zu leisten vermag. Deshalb bleibt nur das Auto als private Transportkapsel.

(5) Wenn ich die Macht habe, ein eigenes Auto zu besitzen, habe ich auch das Recht und die Freiheit, so viel öffentlichen Raum zu besetzen, wie sich mit einem Auto besetzen lässt.

Diese abstrahierende Reformulierung hat den Vorzug, dass sie deutlich macht, auf welcher Ebene die Erstarrung angesiedelt ist. Es ist nämlich nicht nur neoliberale Naivität im Spiel (der zufolge Urbanität vor allem dazu da ist, meinen privaten Lebenserfolg zu katalysieren), sondern auch ein traditionell kümmerliches Konzept von Öffentlichkeit und öffentlichem Raum.

In Deutschland hat man für Öffentlichkeit, also für das freie Zusammentreffen von Fremden, eigentlich keine Verwendung. Es genügt, wenn ein effizienter Staat das Zusammenspiel privater Interessen verwaltet. Entsprechend müssen öffentliche Räume nicht als Begegnungsorte, sondern nur als Verkehrsflächen gestaltet sein. Die Begegnung mit unbekannten, unerwarteten Personen wird verabscheut, und es fühlt sich moralisch richtig an, sie zu verabscheuen. Im Idealfall begegnen sich daher auf öffentlichen Verkehrsflächen nur Autos als Privatisierungskapseln. Und es sind dann konsequenterweise auch diese Autos und nicht die leiblich-natürlichen Personen, die im politischen Diskurs als Träger von Freiheitsrechten in Erscheinung treten.

Einiges an dieser Theorie mag übertrieben sein, aber umso reizvoller bzw. erschütternder ist es zu sehen, wie gut sie zum tatsächlichen politischen Geschehen passt.

Literaturhinweise:

Christoph Bernhardt: Längst beerdigt und doch quicklebendig: Zur widersprüchlichen Geschichte der ›autogerechten Stadt‹, in: Zeithistorische Forschungen 14/3 (2017), 526-540.

Darin zitiert, zur Erläuterung der »Privatisierungskapsel«:

Gijs Mom: Encapsulating Culture. European Car Travel, 1900–1940, in: Journal of Tourism History 3/3 (2011), 289-307.

Klima-Shortcut #8: Kartoffelbrei und andere Verbrechen

Die konkreten Aktionsformen und auch die konkreten politischen Forderungen radikaler Klimaaktivisten sind mitunter bizarr.

Man wirft mit Kartoffelbrei auf Kunstwerke. Oder man fordert einen ›Gesellschaftsrat‹ als Ersatzmodell repräsentativer Demokratie, wohl weil man annimmt, dass eine Mehrheit der Bevölkerung ›eigentlich‹ das Klima schützen will und nur durch die vorhandenen politischen Entscheidungsstrukturen davon abgehalten wird.

Ich würde dieser demokratietheoretischen Vermutung nicht zustimmen, aber darauf kommt es hier nicht an. Als historisierender Beobachter politischer Protestbewegungen ist man ohnehin daran gewöhnt, dass Aktionsformen skurril sein können, und in späteren Geschichtsbüchern wird die Frage im Mittelpunkt stehen, inwiefern und warum ein multipel gestalteter Protest letztlich erfolgreich oder erfolglos war.

Das punktuelle Blockieren des Autoverkehrs für eine gewisse Zeitspanne, indem man sich am Asphalt festklebt, gehört aus meiner Sicht zu den plausibleren Aktionsformen. Es handelt sich um eine symbolische Handlung, die dem Ziel untergeordnet ist, die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs als ein Kernproblem ›unserer‹ kollektiven Lebensweise und als eine wesentliche Mitursache der Klimakrise anzusprechen.

Diese Aktionsform uriniert also gewissermaßen einem Elefanten ans Bein, der sowieso schon (und in Deutschland erst recht) unübersehbar im Raum steht. Einer solchen symbolischen Protestform unter sachlichen und thematischen Gesichtspunkten die Legitimität abzusprechen, wird schwierig, wenn man beispielsweise von der Perspektive des Umweltbundesamtes ausgeht und zu explorieren versucht, was eigentlich geschehen muss, um in Deutschland Klimaneutralität herbeizuführen. Der Verkehrssektor ist bekanntlich im Begriff, nichts zur Emissionsminderung beizutragen. Es ist insoweit vollkommen nachvollziehbar, dass der Protest sich genau hier, nämlich vor dem Kühlergrill eines Automobils positioniert.

Gleichwohl werden die Straßenblockaden von einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt und einige Staatsanwaltschaften bemühen sich mit großem Belastungseifer darum, aktivistische Gruppen zu kriminellen Vereinigungen zu stilisieren. Ich vermute, dass diese Kriminalisierungsstrategie einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten wird, aber auch darauf kommt es hier nicht an.

Die Ablehnung seitens der Bevölkerung kann auf zweierlei Weise gedeutet werden: Entweder mögen es die Leute nicht, wenn sie persönlich für ein Mobilitätsverhalten ›angegriffen‹ werden, das auf jahrzehntelangen strukturellen Fehlsteuerungen in der Verkehrspolitik beruht. Oder sie möchten die Früchte dieser Fehlsteuerung als ›motorisierte Freiheit‹ genießen und wehren sich folglich gegen den bloßen Gedanken, dass der abstrakt vielleicht noch befürwortete Klimaschutz, realistisch betrachtet, mit einer Verkehrswende einhergehen müsste und daher womöglich konkrete Auswirkungen auf ihr Mobilitätsverhalten hätte.

Betrachtet man das Spektrum der Lautäußerungen zum Klimaaktivismus (sei es im parteipolitischen Milieu, im Journalismus oder in der privaten Diskussion), fällt es nicht schwer, sich für eine dieser beiden Deutungen zu entscheiden.