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Klima-Shortcut #9: Kapitalismus und Klimakrise

Zu den Lieblingsideen einer philosophisch oder soziologisch inspirierten Reflexion der Klimakrise gehört, dass diese Krise der Effekt einer kapitalistischen, auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftsweise sei. Das stimmt auch: Die Menschen eignen sich die vermeintlich unerschöpflichen, tatsächlich aber begrenzten Ressourcen des vorgefundenen Planeten an und verwerten sie, bis beide – die Menschen und die Ressourcen – erschöpft sind.

Wenn man dies erkannt habe, sei es – so der zweite Schritt dieser Überlegung – geboten, sich in einem gemeinsamen Akt der Vernunft für eine andere, auf Suffizienz ausgerichtete Wirtschaftsweise zu entscheiden und diese in Zukunft konsequent zu verfolgen. Jede Strategie, die darauf ausgehe, die Klimakrise mit marktwirtschaftlichen Instrumenten, mit technologischem Fortschritt und ›grünem Wachstum‹ zu bewältigen, bleibe hingegen im Bann des kapitalistischen Fortschrittsbegriffs und sei insofern Teil des Problems und nicht der Lösung.

Aber ist dies wirklich die Entscheidung, die zu treffen ist? Ich würde das verneinen, denn der zweite Schritt setzt voraus, dass die Menschheit in der Weltgeschichte als ein moralisch ansprechbares Subjekt in Erscheinung tritt, das solche Entscheidungen treffen kann. Es spricht nicht allzu viel dafür, dass dies ein sinnvolles Modell ist. In der Realgeschichte geschieht beides: Eingeschlagene Pfade werden weiter verfolgt – einerseits. Und andererseits entstehen neue Ideen, die in andere Richtungen führen, bis man nicht mehr genau weiß, ob man sich noch auf dem alten Pfad befindet.

Das sind aber alles nur Metaphern. Der Mensch als Gattungswesen nähert sich derzeit durch die Veränderungen, die er an der Atmosphäre und an der Biosphäre vorgenommen hat, den Grenzen seiner Überlebensfähigkeit. Unsere Nachkommen werden, nachdem wir ihnen eine halb zerstörte Welt hinterlassen haben, für Jahrhunderte hart am Wind segeln. Was es wirklich bedeutet, auf einem drei Grad wärmeren Planeten zu leben, wissen wir nicht; dieser Zustand ist zwar in der Erdgeschichte schon vorgekommen, nicht aber in der Naturgeschichte des Menschen. Der Planet wird ein anderer sein als der, an den er angepasst ist.

Dass im Zuge dieser langgestreckten Katastrophe oder – im günstigeren Fall – im Zuge eines dramatischen Anpassungsprozesses all jene Kulturen und politische Systeme, die auf ›Wohlstand in Freiheit‹ oder ›Wohlstand in Unfreiheit‹ fixiert waren, untergehen werden und dass der Kampf um übriggebliebene Ressourcen zu genozidalen Kriegen führen wird, ist leider wahrscheinlich; dazu wären dann das ›Extremwetter‹ und der ›Meeresspiegelanstieg‹ nur eine Begleitmusik.

Solange es aber so weit noch nicht ist, hat man allen Grund, sich zur Abmilderung des kommenden Klimawandels derjenigen Instrumente zu bedienen, die eben zur Verfügung stehen: technologischer Fortschritt und marktwirtschaftliche Instrumente genauso wie Konzepte der Suffizienz.

Denn alle Theorien darüber, wie man bei der vermeintlichen Gestaltung der Geschichte zu konsistenter Erkenntnis, konsequentem Handeln und somit zu einer Art moralischer Reinheit gelangt, sind intellektueller Kitsch. Das ist nicht erst ›im Angesicht der Katastrophe‹ so. Realgeschichte ist nicht Ausdruck eines Weltgeistes, sondern Vermischung von allem, was Menschen hervorzubringen imstande sind. Und das kann unter Umständen sogar eine gute Nachricht sein.

Klima-Shortcut #3: Der Preis als Zauberstab

Preise sind wirksame Verhaltensmotive, wirksamer jedenfalls als moralische Überzeugungen.

Während die moralische Überzeugung, dass wir alle etwas für den Klimaschutz tun sollten, vor allem die Funktion hat, bei demjenigen, der sie ausspricht, ein Wohlbefinden zu erzeugen, hat ein hoher Preis beispielsweise den Effekt, dass sich jemand gegen einen bestimmten Konsumakt und für einen anderen entscheidet. Das ist ziemlich banal und lässt sich beim Betrachten des eigenen Verhaltens leicht nachvollziehen. Wenn Hafermilch wesentlich billiger wäre als gewöhnliche Kuhmilch, würde für jemanden wie mich, der ungefähr 500 Liter Milch im Jahr verbraucht, die Umstellung im Alltag unversehens zu einem ›interessanten Projekt‹. Genauso bewirkt ein plötzlich ansteigender Benzinpreis auch bei jemandem, der mit ökologischen Motiven gar nichts am Hut hat, eine Zurückhaltung bei offensichtlich überflüssigen Autofahrten.

Eine Gestaltung der Preisstrukturen von Konsumgütern kann also Dekarbonisierungseffekte haben, ohne dass irgendeine darin liegende Moralität explizit anerkannt und bei der einzelnen Entscheidung explizit berücksichtigt werden müsste.

Derzeit ist es so, dass die Preise vieler Konsumgüter die klimaschädlichen Emissionen, die mit ihrem Konsum verbunden sind, nicht widerspiegeln. Solange die Emission als solche keinen Preis hat, ist es gewissermaßen ›die Natur‹ oder die Atmosphäre, die den Konsum ›subventioniert‹, indem sie den entstandenen Schaden klaglos auf sich nimmt. Und insofern diese ›Natur‹ der Lebensraum zukünftiger Menschen ist, findet mit dem gegenwärtigen ›Raubbau‹ ein Ressourcentransfer von den zukünftigen zu den gegenwärtig lebenden Menschen statt.

Dieses Ding, dass es Zukunft für andere Menschen geben soll und dass zukünftige Lebensqualität nicht egal ist, ist eigentlich das einzige moralische Argument in dieser Überlegung. Wenn man es anerkennt, macht die Bepreisung von Emissionen Sinn. Sie ist sozusagen die allgemeinste Art und Weise, unserer ›Zukunftsverantwortung‹ oder – weniger pathetisch – dem ›natürlichen Zukunftsbezug‹ unserer Wirtschaftsweise eine Form zu geben.

Dass die sozialen Gerechtigkeitsfragen, die mit der Bepreisung verbunden sind, hier nicht mitverhandelt werden, ist übrigens dem Shortcut-Format geschuldet: Jeder Beitrag konzentriert sich auf einen einzelnen Gedanken.